Nachtglanz - Heitmann, T: Nachtglanz
kannte Esther sich zu gut mit seinesgleichen aus.
»Entschuldigen Sie, aber ich habe noch nicht mit Ihnen gerechnet.« Esther stockte. Warum hätte sie auch mit ihm rechnen sollen? Schließlich hatte sie ihren Besuch noch nicht bei der Rezeption angemeldet. »Haben Sie mich etwa eintreffen sehen?«
Die Frage schien Adam zu amüsieren. »Mehr oder weniger. Ihr Duft hat Sie verraten, wenn Sie es genau wissen wollen.«
Obwohl er es leicht dahinsagte, färbten sich Esthers Wangen rot, als habe er ihr ein vertrauliches Kompliment gemacht. »Ich hoffe, ich störe Sie nicht? Wir können uns auch gern zu einem späteren Zeitpunkt unterhalten«, brachte sie in einem geschäftsmäßigen Ton hervor, nachdem sie ihre Verunsicherung überwunden hatte.
Adam kam den Rest der Treppe herunter, ohne sie dabei aus den Augen zu lassen. »Stören, wobei?«
Esthers Augenbrauen schnellten in die Höhe. Entweder war dieser Mann vollkommen schamlos, oder er hatte in seinem Zustand gestern gar nicht mehr mitbekommen, dass er sich vor den Augen aller Gäste mit Anders’ Gefährtin vergnügt hatte. Von den anderen Dingen, die vorgefallen waren, ganz zu schweigen. Esther beschloss, direkt auf ihr Anliegen zu sprechen zu kommen.
»Anders wünscht, dass ich Sie mit Ihrer Aufgabe vertraut mache, da ihm das Thema ein wenig unangenehm ist.«
Adam kam vor ihr zum Stehen, und unwillkürlich streckte sie einen Arm vor, damit er einen gewissen Abstand wahrte.
Einen Augenblick lang sah er überrascht auf ihren grenzpfahlgleichen Arm, dann schenkte er ihr ein Lächeln, das keineswegs beruhigend wirkte.
»Man könnte fast meinen, meine Gegenwart wäre Ihnen unangenehm. Dabei kenne ich noch nicht einmal Ihren Namen.«
»Ja, das stimmt. Eigentlich hätten wir uns gestern Abend bereits vorgestellt werden sollen. Aber dann waren Sie ja zuerst damit beschäftigt, meinen Herrn zu küssen …« Esther hielt unvermittelt inne. Was war nur los mit ihr? Für gewöhnlich hatte sie sich vollkommen im Griff, wenn sie in Anders’Auftrag handelte.
Adam wischte sich mit einer flüchtigen Bewegung über die Lippen, als könne er kaum glauben, was er getan haben sollte. »Es war kein Kuss im eigentlichen Sinne.«
Es klang überraschend entschuldigend, dann wurde sein Ausdruck undurchdringlich. Derselbe Ausdruck wie auf der Party, bis Anders den Dämon in ihm geweckt hatte. Daraufhin hatte er lichterloh gebrannt. Eine Erinnerung, die sie nach wie vor in Unruhe versetzte, so eindrucksvoll war die Reaktion dieses Mannes auf Anders’ Gabe gewesen … und hatte etwas längst Vergessenes in ihr geweckt, das sie nach wie vor nicht unter Kontrolle hatte, verflixt.
Offenbar war ihr die Verstörung anzusehen, denn Adam schüttelte amüsiert den Kopf.
»Es überrascht mich, ehrlich gesagt, dass die Erinnerung Sie in Verlegenheit bringt. Als Anders’ Dienerin sollten Sie an solche Szenen doch gewöhnt sein.«
»Das bin ich auch. Ich muss mich entschuldigen, denn es steht mir keineswegs zu, darüber zu urteilen.«
»Ich nehme es Ihnen auch nicht weiter übel, wenn Sie mir nun endlich Ihren Namen verraten.«
»Esther«, sagte sie nach kurzem Zögern.
»Nur Esther? Und dabei dachte ich immer, nur unsereins würde sich Künstlernamen zulegen.«
Unwillkürlich entschlüpfte Esther ein überraschtes »Oh«. Jetzt durfte sie auf keinen Fall die Nerven verlieren. Doch zu ihrem Entsetzen spürte sie, wie sich Risse in ihre Fassade gruben. Das Herz schlug wild in ihrer Brust, und sie konnte Adam ansehen, dass ihm dieser Umstand keineswegs entging.
»Wie kommen Sie bloß darauf, dass es sich um einen Künstlernamen handelt? Eine absurde Idee.«
Anstelle einer Antwort musterte Adam sie nur, dann steckte er die Hände in die Hosentaschen und blickte zu einem der bodentiefen Fenster hinaus.
Esther hatte im Laufe der Zeit viele von seiner Art gesehen, schließlich zog Anders sie an wie das Licht die Motten. Die meisten konnten den Dämon, der sie beherrschte, nur leidlich verbergen. Einige wenige erregten dagegen kaum Verdacht, wie etwa Rischka, die allerdings trotzdem nur selten von Anders’ Seite wich - nun, zumindest bis dieser Herr hier aufgetaucht war.
Man erkannte sie also nur, wenn man wusste, wonach man Ausschau halten musste. Mit dem Dämon zog eine Ausstrahlung ein, die fremdartig war. Als würde sein dunkler Heiligenschein durch die menschliche Hülle hindurchschimmern. Nur
bei Adam war es anderes. Er wirkte bedrohlich, als könne er sein Temperament kaum
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