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Nachtglanz - Heitmann, T: Nachtglanz

Titel: Nachtglanz - Heitmann, T: Nachtglanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Heitmann
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hinreißen lassen. Sie war recht groß, mit einer wohlgeformten Figur und ebenmäßigen Gesichtszügen. Einmal abgesehen von ein paar feinen Brüchen, die nur bemerkte, wer genau hinsah: Der Nasenrücken saß schief, und unter ihrem linken Auge verlief eine Narbe, die sie jedoch hervorragend zu überschminken verstand. Dafür passten diese Zeichen zu ihren angespannten Zügen. Auch von dem verträumten Blick, mit dem Adam sie in der Lobby angetroffen
hatte, war seither nichts mehr zu sehen. Stattdessen prangte eine steile Falte inmitten der Stirn, die ihr etwas Strenges verlieh.
    Mit der behandschuhten Hand hielt Esther den Kragen ihres Mantels zusammen. »Ich kann mich gar nicht entsinnen, wann ich zum letzten Mal das Meer gesehen habe. Im Sommer ist der Strand nicht der richtige Ort für mich, dann verbrenne ich mit meiner hellen Haut schon auf dem Weg vom Wagen hierher. Und im Winter kommt niemand auf die Idee, an den Strand zu gehen. Jedenfalls niemand, den ich kenne. Es ist wunderschön, die Farben sind wie gemalt.«
    »Sie nehmen es mir also nicht länger übel, dass ich Sie zu diesem Ausflug genötigt habe?«
    »Dass Sie mich gezwungen haben, Ihnen hinterherzulaufen?« Esther zuckte mit der Schulter. »Nur ein wenig.«
    Adam biss sich auf die Unterlippe, um ein Lachen zu unterdrücken. Sie war fuchsteufelswild wegen seines Benehmens, aber zu beherrscht, um das einzugestehen - dessen war er sich spätestens nach dieser Lüge sicher. Für Lügen hatte er einen Extrasinn.
    Das grau schimmernde Meeresspiel, der dunstige Horizont, der Wind, der ihm Salz und den Duft nach Apfelblüten zuspielte, den Esthers Haut verströmte, bildeten den schönsten Augenblick, an den er sich erinnern konnte.Wann hatte er sich jemals so leicht gefühlt? Ihm war sogar nach einer Unterhaltung zumute.
    »Woher stammt eigentlich Ihr Akzent? Normalerweise bin ich sehr gut im Erraten, aber Ihrer ist regelrecht verschleiert, als wollten Sie ihn nicht bloß loswerden, sondern geradezu vertuschen.«
    »Haben wir in dieser Stadt nicht alle einen Akzent, den wir nur allzu gern hinter uns lassen würden?«, konterte Esther. »Ihr Englisch klingt schließlich auch wie aus dem Lehrbuch.«

    Adam setzte bereits zu einer Entgegnung an, dann hielt er inne. Sie lässt sich nicht gern in die Karten blicken, stellte er amüsiert fest und musste im nächsten Moment seinen erwachten Jagdtrieb zügeln, der sich am liebsten auf diese scheue Beute gestürzt hätte. Bei diesem Spiel würde Adam sich jedoch allein schlagen, das verlangte nicht bloß sein Stolz. Dann sah Esther ihn mit ihren ernsten Augen an, und er musste hart schlucken. Nein, das hier war kein Spiel - es war seine einzige Chance.
    »Im Gegensatz zu Ihnen ist es bei mir der Dämon, der für meine akzentfreie Aussprache verantwortlich ist. Ich habe nichts zu verbergen.«
    »Sie meinen wohl: Sie haben nichts vor mir zu verbergen. Weil ich als Dienerin genau weiß, was Sie sind. Da können Sie sich ganz hemmungslos offenbaren.« Trotz ihrer schnippischen Worte verzog Esther keine Miene.
    »Und was bin ich in Ihren Augen?«
    Diese Frage bot sich fast zwingend an, aber bei der Vorstellung, wie ihre Antwort ausfallen könnte, bebten sämtliche Muskeln in seinem Körper vor Anspannung. Was und nicht wer , hatte sie gesagt. Ein Etwas also und kein Mann.
    Esther musterte ihn, als handle es sich bei seiner Frage um einen Witz. »Ein Dämon in Menschengestalt«, brachte sie schließlich tonlos hervor. »Dabei sind Sie in Ihrer Camouflage genauso unkenntlich wie Anders, vermutlich ist Ihre sogar noch perfekter. Niemand würde je Verdacht schöpfen, dass Sie kein Mensch sind.«
    »Dass ich kein Mensch bin«, sprach Adam leise nach, für den sich jede Silbe wie ein Schlag ins Gesicht anfühlte.
    »Sehen Sie es als Kompliment - oder wären Sie lieber eins von diesen armen Geschöpfen, in denen noch ein Rest Menschlichkeit existiert, das sie der Lächerlichkeit preisgibt? Glauben Sie mir, wenn man mir nicht gesagt hätte, dass Sie ebenfalls im Blutdienst stehen, hätte ich es nie erraten. Und dabei bin ich
ausgesprochen gut darin, den Dämon zu entdecken.Anders hat mich darin gründlich ausgebildet.«
    »Warum ausgerechnet Sie?« Als Esther lediglich erstaunt die Brauen hochzog, fügte Adam hinzu: »Der Dämon interessiert sich nicht für Sie, Sie werden also niemals einer seiner Tempel sein.«
    »Woher wissen Sie das so genau?«
    »Ich bin auch sehr gut darin, Dinge zu sehen, die den Dämon

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