Nachthaus
weiter unten, die Gebäude und ihre Lichter lösten sich auf. In der flackernden himmlischen Auslage schien es nichts anderes mehr zu geben als eine riesige leere Landschaft, den langen Hügel und darunter eine grässliche Ebene, etwas wie ein Meer aus hohem Gras, durchsetzt mit dicht zusammenstehenden schwarzen Bäumen, deren schroffes Geäst sich in die Düsternis krallte.
Diese Vision musste ihr von dem Gewitterlicht auf dem vom Regen überspülten Glas vorgegaukelt worden sein, denn als das Feuerwerk endete, war die Stadt wieder da, mit all ihren Gebäuden und Parks. Starker Verkehr fuhr den langen Boulevard hinauf und hinunter; Regen floss in Strömen über den Asphalt, der im Widerschein von Autoscheinwerfern und sich schlängelnden roten Rinnsalen von Rücklichtern glitzerte.
Twyla stellte fest, dass sie von dem Hocker aufgestanden war und ihre Gitarre auf den Teppich gelegt hatte, ohne dass sie sich daran erinnern konnte. Sie stand am Fenster. Was sie gesehen hatte, konnte nichts anderes als eine optische Täuschung gewesen sein. Dennoch wurde ihr Mund trocken, während sie auf eine weitere Salve von Blitzen wartete. Im nächsten Sperrfeuer verschwand die Stadt nicht, sondern behauptete sich. Die ungeheure unbevölkerte Weite, auf die ihr Blick zuvor gefallen war, tauchte nicht wieder auf. Eine Fata Morgana. Eine Illusion.
Sie drehte sich um und richtete ihren Blick auf die Vitrine hinter dem Klavier. Keine der Auszeichnungen war umgefallen, aber das Erschauern des Gebäudes war real gewesen, kein Streich, den ihr das Licht und die im Regen verschwommene Fensterscheibe gespielt hatten.
8 Apartment 2-C
Bailey schaltete sämtliche Stehlampen und die Deckenbeleuchtung im Wohnzimmer, im Esszimmer, in der Küche, in seinem Schlafzimmer, im Gästeschlafzimmer und in beiden Bädern ein. Er ließ das Licht sogar weiter brennen, nachdem er niemanden gefunden hatte, der irgendwo in der Wohnung herumlungerte. Er fürchtete sich nicht vor dem, was er gesehen hatte. In erster Linie war er neugierig. Je heller es in der Wohnung war, desto wahrscheinlicher war, dass er das, was als Nächstes passierte – falls überhaupt noch etwas passierte –, klarer sehen konnte.
Er verschwendete keine Zeit darauf, in Betracht zu ziehen, das Wesen im Swimmingpool und das Phantom, das durch eine Wand gegangen war, könnten Halluzinationen gewesen sein. Mit Drogen hatte er nichts zu schaffen. Er trank nicht übermäßig. Falls er an einem Gehirntumor oder einer anderen tödlichen Krankheit litt, hatte es bisher keine Hinweise darauf gegeben. Seiner Erfahrung nach waren posttraumatische Belastungsstörungen, die durch die Gräuel auf dem Schlachtfeld hervorgerufen wurden, in erster Linie die Erfindung von See lenklempnern, die darauf aus waren, das Militär schlechtzu machen.
In seinem Schlafzimmer holte er eine Pistole aus der unteren Schublade des Nachttischs. Die 9mm Beretta war mit einem 20-Schuss-Magazin ausgerüstet, einem fünfzehn Zentimeter langen Mag-Na-Ported Jarvis-Lauf und Trijicon-Nachtsichtgerät. Er hatte die Waffe nach seiner Rückkehr ins zivile Leben erworben und nie Gelegenheit gehabt, sie woanders als auf dem Schießstand zu benutzen.
Nachdem er sich bewaffnet hatte, wusste er nicht, was er als Nächstes tun sollte. Wenn die Dinge, die er gesehen hatte, keine komplett übernatürlichen Erscheinungen waren, dann waren sie zumindest paranormal. In beiden Fällen konnte es sein, dass ihm eine Pistole nicht das Geringste nutzte. Er wollte die Waffe trotzdem griffbereit haben.
Er blieb neben dem Bett stehen, hielt die Waffe in der Hand und kam sich irgendwie blöd vor. Im Krieg hatte er nie ein Problem damit gehabt, seine Feinde zu identifizieren. Es waren die Kerle, die seinen Tod wollten, die, die auf ihn und seine Männer schossen. Es konnte vorkommen, dass sie fortliefen, wenn ihnen trotz eines Überraschungsangriffs ein schneller Triumph miss lang, aber sie lösten sich nicht einfach in Luft auf. Um ein Feuer gefecht zu überleben, es zu gewinnen , mussten Marines mehr tun, als einfach nur ausharren; sie mussten Strategen und Taktiker sein, was voraussetzte, dass man die Realität fest im Griff hatte und die Fähigkeit zu klarem, logischem Denken besaß. Jetzt stand er mit der Beretta da und wartete darauf, dass sich ein Feind aus der Wand herausmaterialisierte. Er lauerte auf eine Erscheinung, ein Schreckgespenst, eine Manifestation der Un vernunft, als sei er kein Marine und sei auch nie einer gewesen,
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