Nachthaus
1-C
Am früheren Nachmittag, ehe sie im Geschirrkabinett dem Dämon begegnet war, hatte Sally Hollander das Abendessen für Martha und Edna zubereitet, und jetzt wollte sie für heute Schluss machen und gehen. Alles stand im Kühlschrank und musste nur noch aufgewärmt werden. Die Kreatur – der Geist oder was auch immer –, die sie gesehen hatte, beschränkte sich vielleicht nicht darauf, in der Wohnung der Cupps herumzuspuken; sie könnte neben ihr auftauchen, nachdem sie sich in den hintersten Winkel der Erde begeben hatte, um ihr zu entkommen. Dennoch würde sie sich in ihrer eigenen Wohnung sicherer fühlen. Wenn sie Zeit hatte, über das, was sie gesehen hatte, nachzudenken, ohne sich Ednas Erklärungen anhören zu müssen, von denen eine abgefahrener war als die andere, würden sich ihre Nerven wahrscheinlich wieder beruhigen und sie würde den Mut aufbringen, am Morgen wieder zur Arbeit zu erscheinen.
Bailey Hawks bot an, sie zu ihrer Wohnung zu begleiten, der hintersten Wohnung im Nordflügel des Erdgeschosses. Diese Wohneinheit gehörte den Cupp-Schwestern und sie wohnte dort umsonst. Sie sorgten gut für sie und sie konnte sich nicht vorstellen, was sie ohne sie täte; daher musste sie in der Behaglichkeit und Abgeschiedenheit ihres eigenen Zuhauses für sich selbst klarstellen, was vorgefallen war.
Sally war kein Schwächling. Sie hatte schon schlimmere Schrecken überstanden als das Ding im Geschirrkabinett. Trotz dem nahm sie Baileys Angebot erleichtert und dankbar an.
Als sie im Aufzug vom zweiten Stock ins Erdgeschoss fuhren, verloren sie kein Wort über ihre außergewöhnliche Begegnung, sondern sprachen voller Zuneigung über die Cupps. Sie und Bailey waren etwa im selben Alter und immer locker miteinander umgegangen; sie hatten sich von Anfang an benommen wie alte Freunde. Sally mochte ihn und glaubte, dass auch er sie mochte.
Gelegentlich fragte sie sich, wie sie wohl in einer Beziehung miteinander zurechtkämen, aber es war nicht ihre Art, die Initia tive zu ergreifen und eine Romanze anzubahnen. Sie war nicht zaghaft, obwohl sie sich eingestand, dass sie ein bisschen was von einem Mauerblümchen hatte. Und da die Cupps Baileys Klienten waren, nahm Sally an, er hielte es für unangebracht, mit ihr auszugehen.
Die Liebe hatte sie schon einmal enttäuscht und sie war zwanzig Jahre lang bestens ohne sie zurechtgekommen. Sich zu verlieben konnte wie der Sturz von einer Klippe sein – kein Wasser darunter, aber jede Menge Felsen.
Früher war sie einmal verheiratet gewesen. Ihr Ehemann Vince war Musiker, Gitarrist einer Combo, die zum Glück ständig Engagements in Nachtklubs und auf privaten Partys bekam. Manchmal begann Vince in den Pausen der Band zu trinken, schüttete nach dem Auftritt noch mehr von seinem liebsten Gift in sich hinein und kam vollständig abgefüllt nach Hause. Er wollte Sex, war aber zu alkoholisiert, um einen hochzukriegen, und in seinem Frust wandte er sich dem zu, was er »das Zweitbeste« nannte, eine Mischung aus körperlicher und seelischer Misshandlung.
Beim ersten Mal hatte er sie überrumpelt. Er packte mit einer Faust ihr Haar und zog so fest daran, dass ihr Tränen in die Augen traten, ohrfeigte sie wiederholt und setzte seinen Körper ein, um sie in eine Ecke zu drängen und sie so fest gegen die Wand zu stoßen, dass sie glaubte, ihre Wirbelsäule würde brechen, wenn er nicht von ihr abließ. Während er sie bearbeitete, bedachte Vince sie mit den abscheulichsten Schimpfwörtern, weil er die Absicht hatte, ihr ebenso viel Kränkung wie Schmerz zuzufügen, und sie war so schockiert und verwirrt, dass sie sich nicht wehrte.
Es war ihr peinlich, sich daran zu erinnern, dass sie eine Zeitlang geglaubt hatte, ein Teil der Schuld an diesem Vorfall müsse bei ihr liegen. Der nüchterne Vince, ein sanfter und umgänglicher Musiker, schien bis auf seine Eifersucht keine Fehler zu haben, und für die entschuldigte er sich sogar oft. Der betrunkene Vince dagegen war Mr. Hyde hoch zwei und entschuldigte sich für nichts. Als es das zweite Mal passierte, leistete sie Wider stand – und musste erfahren, dass er viel stärker war, als sie geglaubt hatte, und dass Widerstand ihn noch mehr anstachelte. Aus Ohrfeigen wurden Hiebe und er weidete sich genüsslich an dem tätlichen Angriff. Als er fertig war und sie mit blauen Flecken und blutend vor seinen Füßen lag, sagte er: »Ich hätte Schlagzeuger werden sollen, so, wie ich dich gerade bearbeitet habe.« Er schwor
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