Nachtkrieger: Ewige Begierde
konnte.
Sie sah sich das gesamte Inventar genau an, zunächst den aus Stein gemeißelten Altar und eine ganze Weile später die Wandverkleidung, die in sechs feinen Stickarbeiten die Schöpfungsgeschichte darstellte. Angesichts des Dämmerlichts kniff sie die Augen zusammen und ging von einem Wandbehang zum nächsten. Zoll für Zoll studierte sie die Bildteppiche, jeden Stern am Firmament, jede einzelne Kreatur der Schöpfung und jede Pflanze im Garten Eden – auf der Suche nach irgendetwas, was sie an ihren Vater oder an Huntingdon erinnerte.
Nichts.
Als sie Schritte von draußen sich nähern hörte, wich Matilda hastig zurück, und als sich die Tür öffnete, erweckte sie den Eindruck, sie hätte gerade ihr Gebet beendet. Der Priester, der eintrat, fragte lächelnd: »Nun, wen haben wir denn da?«
»Eine einfache Reisende, Vater.« Sie beugte ihr Knie und küsste seinen Ring.
»Ah. Ich habe mich schon gefragt, wem die fremden Pferde dort draußen gehören.«
»Sie gehören dem edlen Ritter, der mich auf meiner Reise begleitet. Er wollte Proviant besorgen, und da dachte ich, ich könnte einen Moment lang die friedliche Stille Eurer Kirche genießen.«
»Ein klug gewählter Zeitvertreib. Fahre ruhig mit deinen Gebeten fort. Ich muss mich um einige Kleinigkeiten kümmern.«
Vor einem Bildstock so zu tun, als betete man, war eine Sache, aber in einer Kirche vor einem Priester so zu tun, als betete man, war etwas ganz anderes. Sie spürte, wie sie errötete, und war froh darüber, dass dieser Teil der Kirche so schwach beleuchtet war. »Ich bin schon fertig. Vater, gibt es hier in der Nähe Bildstöcke oder der heiligen Jungfrau geweihte Quellen? Oder sonst irgendwelche heiligen Stätten?«
Er dachte einen Moment lang nach und schüttelte den Kopf. »Das Priorat von Tickhill liegt am nächsten, in knapp zwei Meilen Entfernung, aber es gehört zu der dortigen Gemeinde, nicht zu unserer. Wenn der Wind günstig stand, als ihr hierhergeritten seid, konntet ihr möglicherweise die Glocken läuten hören.«
»Das haben wir. Und auf dem Land von Harworth gibt es nichts?«
»Nein. Warum fragst du danach?«
»Aus reiner Neugier. Die nun befriedigt ist.« Sie machte Anstalten, die Kirche zu verlassen, und der Priester begleitete sie zur Tür.
»Woher kommst du?«
»Von hier und dort.« Sie ging weiter auf die Tür zu. »Tut mir leid, Vater, aber nun muss ich gehen. Mylord will sicher bald aufbrechen.«
»Habt eine sichere Reise, mein Kind!«
»Ja, Vater.« Sie machte einen weiteren Knicks und flüchtete aus der Kirche, bevor ihre Sünden sich derart offenkundig auftürmten, dass sie davon erdrückt würde. Hastig lief sie um die Kirche herum in der Hoffnung, dort einen Hinweis darauf zu finden, wonach sie suchen musste, doch abermals vergebens.
Nicht weit entfernt von den Pferden sank sie auf einen Baumstumpf und presste die Handflächen gegen ihre schmerzenden Schläfen. Sie war sich so sicher gewesen, dass irgendein deutlich erkennbares Zeichen ihr den richtigen Weg weisen würde. Warum sollte Vater einen so knappen Hinweis hinterlassen, wenn die Antwort nicht klar ersichtlich war? Aber vielleicht hatte er etwas gewählt, womit nur Robin etwas anfangen konnte und sie nicht. Einmal mehr wünschte sie, Rob wäre wieder auf den Beinen und bei ihr. Selbst wenn das Rätsel nicht nur für ihn gedacht war, sahen zwei Paar Augen mehr als eins.
Gerade wollte sie die Pergamentrolle hervorholen, als sie sah, dass Sir Steinarr ihr auf der Straße entgegenkam, bepackt mit Säcken und Aleschläuchen.
Da hast du ein zweites Paar Augen,
flüsterte ihr die gleiche Stimme zu, die sie schon einmal schlecht beraten und auf diesen unzüchtigen Weg gebracht hatte. Aber vielleicht hatte sie recht. Vielleicht wurde es Zeit, das Versprechen einzulösen, das sie Robin gegeben hatte, und Sir Steinarr alles zu erzählen. Seufzend stand sie auf und ging ihm bis zu den Pferden entgegen. »Ihr habt noch Ale bekommen, Mylord.«
»Besseres Ale«, betonte er. Er verschnürte die Stricke der beiden Aleschläuche am Sattelknauf und packte die Säcke auf das Packpferd. »Ich habe auch Brot aus Weizen und Roggen für die nächsten drei Tage bekommen und ein frisches Stück Käse, so dass wir den gesalzenen für unterwegs aufheben können. Bist du hier fertig?«
Sie drehte sich kurz um, warf einen Blick auf die Kirche und schüttelte den Kopf. »Nein, Mylord, noch nicht. Aber heute kann ich hier nichts mehr erledigen. Ich werde wohl morgen
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