Nachtkrieger: Ewige Begierde
was in dem zu weiten roten Kittel recht einfach war, raffte ihr Oberkleid zusammen und steckte den Saum rundum in ihren Gürtel, so dass lediglich der Saum ihres schlichten wollenen Unterkleids herausschaute. Steinarr schüttelte den schwarzen Umhang aus und legte ihn ihr über die Schultern. »Schieb auch die Ärmel hoch.«
Matilda tat, wie geheißen. Als sie fertig war, ging Steinarr einen Schritt zurück, um sie abermals prüfend zu betrachten. Seine Mundwinkel zuckten, als er sich das Lächeln verkneifen musste.
»Was ist?«, fragte sie, während sie sich den Riemen ihres Beutels über den Kopf zog.
»Du siehst aus wie die Frau eines Metzgers, die zu viel Speck auf den Hüften hat«, sagte er. »Nein, so ist es genau richtig«, fügte er hinzu, als sie etwas entgegnen wollte. »Baldwin wird keinen weiteren Blick an dich verschwenden. Achte darauf, dass dein Haar bedeckt ist, und zieh dir die Kapuze möglichst tief ins Gesicht. Komm!«
Der Fleischer stand am Hoftor, und Steinarr gab ihm einen halben Penny, bevor sie sich auf den Weg machten. »Gib den beiden Pferden Wasser und ein wenig Heu. Die andere Hälfte bekommst du, wenn wir zurück sind, und einen Viertelpenny zusätzlich dafür, dass wir uns deine Kleidung geliehen haben.«
»Aye, Mylord.« Der Mann riss die Augen auf, als er Matilda in seinem viel zu großen Kittel sah, doch er war ein kluger Mann und hielt den Mund.
Sie gingen zurück zum Stadttor und von dort aus die breite Straße zum Münster hinauf. Sudwell war ein Wallfahrtsort, und so fanden sich zwischen den üblichen Läden und Ständen auch solche, die allerlei Pilgerandenken der heiligen Eadburh anboten – von hauchdünnen Fläschchen mit einer Flüssigkeit, von der es hieß, es seien die Tränen, die von ihrem Bildwerk vergossen wurden, bis hin zu einfachen Pergamentzetteln mit Fürbitten.
»Wie sollen wir unter all dem etwas finden?«, fragte Matilda. »Und wenn wir etwas finden, wie sollen wir daran kommen, ohne dass es jemand bemerkt? Das hier ist kein Dorf, wo alle auf den Feldern sind.«
»Vielleicht brauchen wir ja dieses Mal keine Kirche zu plündern«, sagte Steinarr. »Halt die Augen offen. Dein Vater hat seine Rätsel klug gestaltet. Denk daran: Vogel, Hand, schwarzer Stein und möglicherweise ein Bischof bei einem Gate.«
»Und möglicherweise das Pilgerabzeichen, wobei das, glaube ich, nur dazu gedacht war, uns hierherzulocken.«
Den Vogel fanden sie zuerst, an einem Stand, wo Tüchlein angeboten wurden, von denen der Händler behauptete, sie seien vom Erzbischof von York persönlich gesegnet worden. Zwischen Tüchlein, die mit einem Kreuz und dem Namen der heiligen Eadburh bestickt waren, lagen einige, die zu dem Stück passten, das sich in dem kleinen Lederbeutel befand. Matilda nahm eines davon von einem Stapel und hielt es hoch. »Mylord, seht!«
Steinarr nahm das Tüchlein in die Hand und winkte den alten Mann herbei. »Was für ein Vogel ist das?«
»Es soll einen Bluthänfling darstellen, Mylord. Meine Frau stickt nun schon seit fast zwanzig Jahren solche Vögel. Möchtet Ihr oder möchte Eure Lady gern ein Tüchlein? Es wird vom Erzbischof selbst gesegnet, jedes Jahr zu Pfingsten während der Prozession. Es wird all Eure Leiden heilen, indem Ihr es einfach auf die Haut legt und ein Gebet sprecht.«
Steinarr schnaubte verächtlich und wollte weitergehen, aber Matilda blieb noch stehen. »Ich glaube, so einen Vogel habe ich schon einmal gesehen. Kann es sein, dass er irgendwo im Münster eingemeißelt oder aufgemalt ist?«
»Nicht in der Kirche. Daneben«, sagte der Mann. »Meine Frau hat das Motiv von der Statue des alten Erzbischofs, die auf dem Friedhof steht. Vögel wie dieser umgeben seine Füße und picken etwas vom Boden auf.«
»Ah, natürlich. Deshalb kam mir das Motiv bekannt vor«, sagte Matilda, als hätte der Mann etwas bestätigt, woran sie sich erinnerte. Sie setzte die unterwürfige Miene einer Dienerin auf und sah Steinarr an. »Bitte, Mylord, darf ich mir das noch einmal ansehen? Ich würde gern für die Schwester meines Cousins beten. Sie liebt Finkenvögel.«
Steinarr hüstelte, um nicht in Lachen auszubrechen. »Ich glaube, ein paar Minuten für ein Gebet lassen sich einrichten. Komm mit!«
Sie ließ das Tüchlein auf den Stapel fallen, bedankte sich mit einem knappen Kopfnicken bei dem alten Mann und ging hinter Steinarr her, so wie eine Dienerin es tun würde. Eigentlich gar keine schlechte Sache: Bei seiner Größe und mit seinen
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