Nachtkrieger: Unendliche Sehnsucht: Roman (Knaur TB) (German Edition)
Marionette hing er da.
Lachend klemmte sich Gunnar den kleinen Handschuh zwischen die Zähne und streckte den Arm zum Pavillonfenster aus.
Eine Duftwolke, lieblich wie eine Sommerwiese, wehte ihm entgegen, als er sich auf das Fensterbrett hochzog. Einen Herzschlag später hatte er sich darübergeschwungen und stand im Zimmer – um ihn herum aufgeregtes Gekreische und Gekicher. Und Frauen. Große und kleine, blonde und dunkelhaarige, manche gertenschlank und andere fett wie Rebhühner … Aber alle jung, jede einzelne von ihnen.
Es befanden sich auch einige Männer darunter; er, Gunnar, war also längst nicht der Erste, der es geschafft hatte, doch das spielte keine Rolle. Er war hier oben, und eines dieser verlockenden Geschöpfe würde ihm einen Kuss geben. Er nahm den Handschuh aus dem Mund und verharrte. Er sah sich die Frauen genau an, als könne er sich eine aussuchen, dabei war die Wahl ja längst auf eine gefallen. Aber auf welche …?
Eine kräftige Hand klopfte ihm auf den Rücken, und hastig wandte Gunnar sich um, bereit, einen weiteren Herausforderer abzuwehren.
Doch es handelte sich nur um einen anderen Sieger, der bereits eine honigblonde Schönheit im Arm hielt und ihn grinsend ansah. »Schlau gekämpft, Sir. Im Verlauf Eures Lebens habt Ihr eindeutig schon ein paar Türme eingenommen.«
»Einen oder zwei vielleicht.« Gunnars Blick fiel auf das weinrote Stück Seidenstoff, das am Gürtel des Mannes hing. »Ah. Ihr seid derjenige, der mir einen übergezogen hat. Ihr habt einen kräftigen Schlag.«
»Ich hoffe, Ihr seid nicht nachtragend.«
Vorsichtig befühlte Gunnar die Beule an seinem Kopf. »Das gehört dazu. Außerdem hatte ich es ohnehin nicht auf den Schleier abgesehen.«
»Na so etwas!« Die Besitzerin des Schleiers verzog den Mund, als hätte sie auf einen Wurm gebissen. »Dann bin ich froh, dass Ihr ihn verloren habt, Sir.«
»Ich wollte nicht …« Mit glühenden Wangen unterbrach Gunnar sich, holte tief Luft und begann erneut: »Ich wäre erfreut gewesen, einen Kuss von Euch zu bekommen, Mylady, wenn ich ihn mir verdient hätte. Aber es war reiner Zufall, dass Euer Gunstbeweis mir in die Hände fiel, und als man ihn mir wieder abnahm, schien es nur … gerecht.«
Sie stieß einen Seufzer aus, der halb verärgert, halb besänftigt klang, dann fiel ihr Blick auf den Handschuh. »Nun dann. Jetzt habt Ihr also das. «
»Das habe ich«, bestätigte Gunnar. Er betrachtete seine Beute genauer und strich mit den Fingerspitzen über das Rehleder. Wenn er nur ein wenig Glück hatte, wäre die Besitzerin so sanft wie das Leder, und nicht so schnippisch wie dieses Frauenzimmer hier. Er ging einen Schritt zurück und warf einen Blick über die Schulter. »Wo ist die dazugehörige Dame? Ich möchte mir meinen Kuss abholen.«
» Là-bas. Dort hinten.« Die Besitzerin des Schleiers wollte in die entsprechende Richtung weisen, doch plötzlich wurde es unruhig, und die Frauen machten Platz, bis Gunnar vor einer schwarzhaarigen jungen Frau stand, deren strahlende Augen den gleichen Grauton hatten wie der Handschuh, den sie bei sich trug.
Ah, gut. Ganz und gar nicht hässlich. Ein wenig dunkel für seinen Geschmack – er bevorzugte die goldenen und cremefarbenen Töne seiner Heimat gegenüber dem Typ, den die Franzosen nach England gebracht hatten –, aber dennoch recht ansehnlich. Sehr ansehnlich, um genau zu sein. Erfreut über sein Glück, machte Gunnar einen Schritt nach vorn. »Mylady.«
»Sir Gunnar.« Ein leichtes Lächeln spielte um ihre Lippen, als sei sie eingeweiht in einen ganz besonderen Spaß. »Kommt Ihr immer mit so viel Verspätung?«
Kapitel 4
V erzeiht, Mylady. Kenne ich Euch?«
Kenne ich Euch? Eleanor starrte den Mann an, nach dem sie Ausschau gehalten hatte, auf den sie gewartet hatte in all den langen Monaten voll verdrängter Hoffnung. Nach vier Jahren fiel ihm nichts weiter ein als das: Kenne ich Euch? Glaubte er etwa, sie fände das erheiternd?
Ihre Finger schlossen sich fester um den Handschuh. Am liebsten hätte sie ihn ihm entgegengeschleudert, wenn nicht so viele Leute im Raum gewesen wären, die sie beobachteten. Warum, warum nur hatte sie nicht einfach den Mund gehalten, als sie ihn unter den Wettstreitenden entdeckt hatte? Töricht, wie sie war, hatte sie es sogleich herausposaunt, in der sicheren Annahme, er sei ihretwegen gekommen, hatte sich eingebildet, er würde vor ihr auf die Knie fallen und um Vergebung bitten, weil er nicht eher erschienen
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