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Nachtkrieger: Unendliche Sehnsucht: Roman (Knaur TB) (German Edition)

Nachtkrieger: Unendliche Sehnsucht: Roman (Knaur TB) (German Edition)

Titel: Nachtkrieger: Unendliche Sehnsucht: Roman (Knaur TB) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Hendrix
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Narben. Eleanor stockte der Atem.
    »Wer hat dir das angetan?«, flüsterte sie, aber natürlich gab der Stier keine Antwort, denn Stiere können nun einmal nicht sprechen, nicht einmal in einem Traum. Die Narben liefen über seinen gesamten Rücken, als sei der Stier wieder und wieder mit einer riesigen Peitsche geschlagen worden. Dass ein Tier, auch wenn es ein verwandelter Gott in einem Traum war, nach solch grausamer Behandlung noch ein so sanftes Gemüt haben konnte, war bemerkenswert. Berührt von seiner Würde machte Eleanor einen tiefen Knicks.
    Der Stier gab leise einen sanften, klagenden Laut von sich und kam ein Stück näher, so nah, dass sie den Duft von Gras in seinem Atem riechen und die Pupillen seiner Augen sehen konnte. Mit einer unwirschen Geste streckte Eleanor die Hand aus, um ihn zu verscheuchen, doch als sie ihn berührte, stieg ein ungeahntes Gefühl von Frieden in ihr auf, ein so starkes Gefühl, dass es alles andere fortschwemmte, selbst Carolus’ honigsüße Stimme, und sie in einer seltsamen Welt dahintreiben ließ, in der es nur noch sie und den Stier gab – und ein tiefes Gefühl der Gelassenheit.
    Als der Stier sich langsam auf seine Vorderbeine niederließ, schien ihr dies vollkommen selbstverständlich. So, als könne es gar nicht anders sein.
    »Zeus«, flüsterte sie, und noch immer gefangen genommen vom Zauber ihres Traums, stieg sie auf seinen breiten, vernarbten Rücken und ließ sich von ihm davontragen.

Kapitel 11
    P lötzlich kam Eleanor wieder zu sich und erschrak.
    Beim Gekreuzigten, was tat sie hier? Mit rasendem Herzen glitt sie von dem Rücken des Stiers und kroch davon. Der Stier wandte den Kopf und sah sich nach ihr um, dann trottete er ungerührt weiter.
    Es schien so dunkel. Wie lange war sie auf diesem verrückten Tier geritten? Der Traum, der sie gefangen genommen hatte, entließ sie aus seinen Klauen, und sie realisierte erschrocken, wie tief sie sich im Wald befinden musste, wie weit ab des Wegs. Konnte es sein, dass der Stier sie bis an die Grenzen des Forstes der Domäne gebracht hatte?
    Sie drehte sich um ihre Achse und versuchte, sich zurechtzufinden. Aber die Bäume standen so dicht, dass sie bis auf vereinzeltes Himmelsblau keinen Blick freigaben, und nach einem solch nassen Winter war jeder Baumstamm mit dichtem Moos bewachsen, was ihre Bemühungen, Norden und Süden voneinander zu unterscheiden, erheblich erschwerte.
    Ein Zweig knackte, und sie zuckte zusammen, aber es war nur der Stier, der sich weiter in die Dunkelheit hineinbewegte. Ein zartes Abendrot jedoch schimmerte durch die Bäume hindurch. In der Hoffnung, dass der Stier wusste, wohin er ging, und dass sie sich nicht als noch größere Närrin erweisen würde, als ohnehin bereits geschehen, kämpfte sie gegen das aufkommende Gefühl der Panik an und ging hinter ihm her auf das Licht zu.
    Zutiefst erleichtert rannte sie hinaus auf die schmale Lichtung. Über ihr leuchteten vereinzelt Wolken, rotgold gefärbt durch den Sonnenuntergang. Oh, gut, das war der westliche Himmel.
    Sie erstarrte.
    Der Stier stand ihr gegenüber, bar jeder Sanftheit oder jeden Adels. Blutrot unter dem Abendhimmel, bis hin zu seinen funkelnden Augen. Er scharrte und schnaufte, und sie wich hastig zurück an den Waldrand, in die Richtung, aus der sie gekommen war.
    Hinter ihr ertönte Gekreische und jagte sie wieder auf die Wiese, bis sie feststellte, dass es nur eine Elster war, die hinter ihr auf einem der niedrigen Äste saß. Der Stier machte einen Satz vorwärts, als wolle er auf sie zulaufen. Schreiend drehte Eleanor sich um und verkroch sich hinter den nächsten Baum am Saum des Waldes, wobei sie die Elster aufscheuchte, die von ihrem Ast hinunterschoss und wie verrückt kreischend um Eleanors Kopf herumflatterte. Der Stier senkte sein gewaltiges Haupt und stürmte los.
    Auf halbem Weg, mitten auf der Lichtung, sackte er in sich zusammen. Seine Beine knickten ein, als wäre er von einem Pfeil getroffen worden. Mit einem Krachen, das die Erde um ihn herum erschütterte, sank er zu Boden und blieb dort liegen, eine ächzende und bebende Masse.
    Und dann begann der Stier, sich zu verwandeln. Der ganze Koloss zuckte und verformte sich, als wäre sein Körper aus Lehm geformt und würde von unsichtbarer Hand neu gestaltet. Hufe und Hörner verschwanden, das Maul verkürzte sich, der Körper drückte sich zusammen, schmolz. Das Ächzen wurde zu einem Klagen, so voller Verzweiflung, voller Qual, dass Eleanor panische

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