Nachtkuss - Howard, L: Nachtkuss - Burn
wie der Gitarrist eine eingängige Version eines bekannten klassischen Stücks darbot, dessen Titel ihr allerdings nicht einfallen wollte. Ein Stück folgte dem anderen, manche waren heiter, andere eher melancholisch. Auch nach sieben Jahren in Palm Beach verstand sie noch nicht allzu viel von klassischer Musik, weil sie es so weit wie möglich vermied, in Sinfoniekonzerte zu gehen. Bei jedem Test über Bon Jovi hätte sie mit einer glatten Eins abgeschnitten, aber wenn man gefragt hätte, ob das gerade gespielte Stück von Bach oder Beethoven oder einem anderen toten Typen komponiert worden sei, wäre sie mit Pauken und Trompeten durchgefallen.
Trotzdem gefiel ihr die Musik. Der Moment hatte etwas Magisches. Die Musik, die milde Luft, der Mann an ihrem Arm … Denn auch wenn sie das weder Cael noch sonst jemandem eingestanden hätte, wäre der Moment ohne ihn längst nicht so magisch gewesen.
Der Gitarrist musizierte auf einem kleinen Podest, während die Zuhörer auf den davor aufgestellten Stühlen saßen oder dahinter an der Reling lehnten. Sie und Cael
standen im Hintergrund und ließen die Klänge an ihnen vorbeiziehen. Die meisten hatten sich für den Abend fein gemacht: mit Smoking und eleganten Abendkleidern, Schmuck und schicken Schuhen. Cael sah fantastisch aus, auch wenn sie lieber gestorben wäre, als ihm das zu sagen. Ein harter Mann im Smoking hatte einfach das gewisse Etwas. Sie versuchte dieses Etwas zu ignorieren, aber das war nicht so einfach.
Der Musiker beendete das Set mit einem schnellen Song, der auf einer akustischen Gitarre eigentlich nicht zu spielen war. Jenner merkte, wie sie den Atem anhielt, als er zum Ende kam, und applaudierte genauso begeistert wie alle anderen. Sie sah Cael an, der genau wie sie die Musik genoss. Vielleicht freute er sich sogar, dass er nachgegeben und sie zu diesem Konzert begleitet hatte.
Dann merkte sie, wie er sich leicht versteifte und sein Blick an ihr vorbeiging, und war deshalb nicht besonders überrascht, als ihr jemand sanft auf die Schulter tippte. Mit fest sitzendem Lächeln drehte sie sich um und blickte in ein vertrautes Gesicht.
»Chessie!« Ihre Bemühungen, aufrichtig fröhlich zu klingen, wurden dadurch erleichtert, dass sie die Frau tatsächlich mochte. »Wie schön, dich hier zu treffen!«
Chessie Fox und ihr Mann Mike waren keine wirklich engen Freunde. Sie waren ungefähr zehn Jahre älter als Jenner und interessierten sich eher für die Aktivitäten ihrer Kinder als für die Wohltätigkeitsveranstaltungen, zu denen Jenner und Syd gingen, aber alle vier verkehrten gelegentlich in denselben Kreisen.
Chessie trug ein rosa Kleid, das schreiend verkündete: »Geschmack kann man nicht kaufen«, aber die Diamanten an ihren Ohren und der auf ihrer ausladenden Brust waren eindeutig echt. Ihre blonden Haare waren wenig
kunstvoll frisiert und mit Spray festbetoniert; nicht eine einzige Strähne bebte in der Meeresbrise. Mikes Anzug war ihm auf den durchtrainierten Leib geschneidert. Sie waren nette Leute, die ihr Leben so führten, wie es ihnen gefiel, und sich keine Gedanken darüber machten, was andere von ihnen hielten.
Jenner stellte Cael den beiden vor, und er reagierte charmant wie üblich. Außer bei ihr konnte er wirklich umwerfend charmant sein. Lächelnd schüttelte er Mikes Hand, dann legte er lässig den Arm um Jenners Taille. Noch vor ein paar Tagen hätte ihr bei dem Gedanken, sich in dieser Situation wiederzufinden und spontan ihre Rolle spielen zu müssen, das Herz im Hals geklopft, aber heute Abend reagierte sie ganz natürlich.
»Ich könnte ja sagen, ich bin verblüfft, dass wir uns erst jetzt begegnen«, sagte Chessie lachend. »Aber die ersten drei Tage habe ich kotzend im Bett verbracht, und seither habe ich immer nur versucht, mich auf diesem Schiff zurechtzufinden. Es soll angeblich besonders gut und stabil gebaut sein, aber irgendwie fehlt mir einfach der Glaube.«
»Ich hoffe, du wirst inzwischen nicht mehr seekrank«, sagte Jenner. Davor hatte sie sich auch gefürchtet, aber sie hatte bislang noch keinerlei Beschwerden gespürt. Cael und Mike führten währenddessen irgendein Männergespräch über Sport oder Politik oder Wirtschaft. Sie blendete die beiden genauso aus, wie Mike sie und Chessie ausgeblendet hatte. Cael hingegen bekam mit Sicherheit jedes Wort mit, das sie sagte.
»Nein, inzwischen habe ich mich erholt. Ich war schon in der Schiffsapotheke und habe meine Vorräte an Reisekaugummis und Ingwerbonbons
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