Nachtkuss - Howard, L: Nachtkuss - Burn
»Trotzdem ist es nicht nett, mich die Weinprobe allein überstehen zu lassen.«
»Ich würde lieber über deine Haare als über meine Verspätung sprechen«, erwiderte Syd lächelnd. »Ich behaupte immer noch, dass Blond dir am besten steht. Du wirkst damit ganz besonders strahlend und lebendig. Obwohl auch das Kastanienbraun etwas für sich hatte«, ergänzte sie hastig. »Und das Schwarz ungeheuer elegant wirkte. Was hast du eigentlich von Natur aus für eine Haarfarbe?«
»Mausbraun«, gab Jenner zurück. Obwohl sie ihre natürliche Haarfarbe seit Jahren nicht mehr gesehen hatte, erinnerte sie sich noch haargenau an den langweiligen Farbton. Ein Psychologe hätte wahrscheinlich ein Buch darüber schreiben können, warum sie so oft die Haarfarbe wechselte, aber immerhin waren es ihre Haare, und wenn sie die Farbe wechseln wollte, hatte es niemanden zu interessieren, was ein Analytiker sich darüber zusammenreimte. Das Schwarz hatte ihr ausgesprochen gut gefallen; damit hatte sie sich wie eine großstädtische Powerfrau gefühlt. Die roten Haare hatten überraschend sexy gewirkt, was ihr ungeheuer geschmeichelt hatte. Wenn sie dieses Hellblond satthatte, würde sie wahrscheinlich wieder auf Rot wechseln.
Endlich kam das Zeichen, dass alle ihre Plätze an den elegant dekorierten Banketttischen mit je acht Sitzen einnehmen sollten. Wenn Jenner richtig gezählt hatte, waren es fünfzig Tische, womit insgesamt vierhundert Gäste gekommen waren. Ein auf der Galerie sitzendes Orchester begann leise zu musizieren und lieferte einen angenehmen Background, ohne die Gespräche auf dem Parkett zu stören.
Als Jenner ihren Platz einnahm, wobei sie den Saum ihres langen, engen schwarzen Kleides anhob, damit sich ihr Absatz nicht darin verfing und sie nicht mit dem Gesicht voran auf die Tischplatte knallte, musste sie an ihr erstes Wohltätigkeitsdiner vor fast sieben Jahren denken. Sie hatte sich redlich bemüht, sich zuvor unter die anderen Gäste zu mischen und neue Bekanntschaften zu schließen, aber trotzdem hatte sie sich fehl am Platz und zutiefst unwohl gefühlt. Man hatte sie nicht angespuckt, aber man hatte sie auch nicht mit offenen Armen aufgenommen.
Beim Essen hatte sie sich an einem Tisch mit sieben Fremden und hinter einer einschüchternden Phalanx von Besteck und Gläsern wiedergefunden, die sie völlig aus dem Konzept brachte. Sie dachte: »Ach du Scheiße, fünf Gabeln?« Was sollte sie mit fünf Gabeln anfangen? Bei jedem Bissen eine neue nehmen? Sich gegen die anderen am Tisch verteidigen?
Dann hatte die hübsche junge Frau ihr gegenüber ihren Blick aufgefangen, ihr ein freundliches, verschwörerisches Lächeln geschenkt und ganz dezent die Gabel ganz außen angehoben. Ihre Bewegung hatte nichts Herablassendes, sondern wirkte wie eine ehrlich gemeinte Hilfestellung, die Jenner gern annahm. Im Lauf des Essens hatte sie gemerkt, dass das Besteck einfach entsprechend der Gänge von außen nach innen verwendet wurde und dass die junge Frau ihr gegenüber ausgesprochen nett und freundlich war. Hinterher hatten sie sich zusammengesetzt und sich unterhalten, und am Ende des Abends hatten beide eine neue Freundin gefunden.
Kaum zu glauben, dass sich eines nicht geändert hatte, obwohl sie sich seither völlig verändert hatte: Sie passte immer noch nicht wirklich hierher. Sie hatte Chicago hinter sich gelassen und spürte sehr wohl, dass sie nicht mehr
das Mädchen von früher war, das von Verwandten und Freunden tief verletzt worden war, aber das Gefühl, nicht dazuzugehören, war geblieben. Inzwischen war sie eine dreißigjährige Frau. Seit sechs Jahren wohnte sie in Palm Beach. In diesen sechs Jahren hatte sie mindestens hundert solcher Wohltätigkeitsveranstaltungen besucht, war zu Cocktailpartys, Poolpartys und weiß Gott was für Partys gegangen - doch für die Menschen um sie herum würde sie immer die Fleischverpackerin bleiben, die im Lotto gewonnen hatte. Sie würde nie wirklich zu ihnen gehören, so freundlich man ihr auch begegnete. Wäre Syd nicht gewesen, wäre sie wahrscheinlich schon weitergezogen und hätte sich woanders niedergelassen, aber stattdessen hatte sie hier ein neues Zuhause gefunden.
Sie hatte diese sieben Jahre mit den verschiedensten Beschäftigungen ausgefüllt. Al hatte sie vor Jahren gewarnt, dass die meisten Lottogewinner innerhalb von fünf Jahren pleitegingen. Jenner hatte alles daran gesetzt, nicht zu ihnen zu gehören. Dank Als Hilfe bei der Geldanlage und dank der
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