Nachtmahr - Das Erwachen der Koenigin
lud sie zum Essen ein.
»Es tut mir so leid«, sagte er nach der Vorspeise, ehe ihre Pasta kam. »Ich kann am Wochenende nicht mit dir nach Hamburg kommen.«
Lorena presste die Lippen aufeinander. »Warum denn?«, erkundigte sie sich, als sie sicher war, ihre Stimme im Griff zu haben.
»Ich muss Samstagabend für einen Kollegen einspringen. Ein Engagement für eine private Feier, Streichquartett, eigentlich nichts Großes, aber, na ja, er hat mir auch schon öfter einen Gefallen getan, und es werden ein paar wichtige Leute auf dieser Party erwartet, die sich in der klassischen Musikszene als Gönner herumtreiben.« Er schwieg ein wenig verlegen.
»Und da könnte es ja sein, dass einer von denen auf deine Talente aufmerksam wird«, ergänzte Lorena, beugte sich vor und hauchte ihm einen Kuss auf die Wange.
»Du bist nicht böse?«
»Nein! Ich verstehe deine Entscheidung und finde sie vernünftig. Du hast bisher nur ein Engagement auf Zeit und musst sehen, wie es danach weitergeht, falls dein Vertrag nicht verlängert wird.«
Sie sah ihm seine Erleichterung an und hoffte nur, dass man ihre eigene nicht so leicht in ihrem Gesicht lesen konnte.
Später, als Jason sich verabschiedet hatte, um in seine Wohnung in Soho zurückzukehren, lag sie noch wach im Bett und versuchte, sich an die genauen Worte ihrer Großmutter zu erinnern, die sie bei ihrem letzten Gespräch gesagt hatte. Es war etwas Wichtiges gewesen, etwas, das sie so sehr in Aufregung versetzt hatte, dass ihr Geist wieder in die Vergangenheit abgeglitten war. Zuerst hatte sie von diesen Vitamintabletten gesprochen, die sie ihr irgendwann einmal gegeben hatte. Das war schon verdammt lange her. Lorena runzelte die Stirn. Es war nach Mamas Tod gewesen. Sie hatte ihr diese kleinen roten Pillen gegeben und sie geradezu beschworen, sie einmal im Monat zu nehmen. Ja, sie hatte ihr sogar einen Kalender gegeben, in dem der Tag rot markiert gewesen war. Eigentlich einfach zu merken. Zufall oder nicht, es war stets der Morgen nach Neumond. Lange Zeit hatte sich Lorena daran gehalten, obwohl sie nicht wusste, wozu sie eigentlich gut sein sollten. Doch dann irgendwann während des Studiums hatte sie den Rest in einem Anfall von Zorn vernichtet.
Nichts war passiert. Oder doch? Es war eine stürmische Zeit an der Universität, in der sie sich in so manche Affäre gestürzt und sich immer häufiger nachts gewandelt hatte, bis es jede Nacht über sie kam.
Was hatte Großmutter gesagt?
Du kannst es sonst nicht beherrschen.
Seltsam. Was bewirkten diese Tabletten? Dass sie sich nicht mehr wandelte? Nein, das konnte nicht sein. Sie hatte sich seit ihrem dreizehnten Lebensjahr von Zeit zu Zeit immer wieder gewandelt. Am Anfang nicht so oft, dann häufiger, und zu ihrer Highschoolzeit nur selten, nur zu Neumond oder wenn sie es wollte, später aber jede Nacht. Lorena stutzte.
Konnte das mit diesen Pillen zusammenhängen? Aber wie genau wirkten sie? Zu schade, dass sie keine mehr hatte und auch nicht wusste, woraus sie bestanden. Dass sich ihre Großmutter an das Rezept erinnerte, bezweifelte Lorena. Irgendwo unter ihren Sachen musste es noch eine Kiste mit diesen Pillen gegeben haben, doch es war viele Jahre her, dass ihr Haus verkauft und ihre Sachen verteilt oder weggeworfen worden waren. Sicher hatte ihr Vater die Pillen vernichtet, von denen er nicht wusste, wozu sie gut sein konnten. Jedenfalls nahm sich Lorena vor, ihre Großmutter noch einmal nach ihnen zu fragen, sollte sie das Glück haben, sie bei klarem Verstand anzutreffen.
»Oh, meine Liebe, da bist du ja wieder«, begrüßte ihre Großmutter sie, als sie am Freitagabend ihr Zimmer betrat. Lorena hatte all ihre Überredungskunst benötigt, dass die Pflegerin sie um diese Zeit noch einließ. Nachdem sie sich vergewissert hatte, dass Else Maschek noch nicht schlief, ließ sie sich erweichen, bat sie aber, leise zu sein und die anderen Heimbewohner nicht zu stören.
»Die meisten hören doch sowieso nichts mehr«, sagte ihre Großmutter, als die Pflegerin das Zimmer nach ihren mahnenden Worten wieder verließ.
Else Maschek schaltete den Fernseher aus und ließ sich von Lorena umarmen. »Das ist natürlich eine viel schönere Abendbeschäftigung als diese dummen Fernsehsendungen. Ich kann diese Krimiserien nicht mehr ertragen – und all die schnulzigen Liebesfilme, die ich früher gern gesehen habe, schon gar nicht mehr. Sport interessiert mich nicht, und Talkshows sind so unerträglich, dass ich sofort
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