Nachtmahr - Das Erwachen der Koenigin
Alternative, die seinen Hunger stillen sollte.
Es regnete noch immer, und Lorena konnte nicht sagen, zum wievielten Mal sie auf die Anzeige ihres Handys starrte, um sich zu versichern, dass sie auch wirklich keinen Anruf überhört hatte.
Nein, alles in Ordnung. Der Empfang war gut, und es waren weder ein Anruf noch eine SMS eingegangen.
Alles in Ordnung?
Nichts war in Ordnung!
Sie trat ans Wohnzimmerfenster und drückte die Nase gegen die Scheibe, über die unablässig die Tropfen herabrannen. Es regnete so stark, dass sie nicht einmal Lust hatte, durch den Park zu joggen. Finley war längst wieder zurückgekehrt, hatte seinen kalten Porridge aufgeschleckt und sich dann in ihr noch ungemachtes Bett zurückgezogen. Normalerweise hätte sich Lorena an solch einem Sonntag noch ein wenig zu ihm gekuschelt, doch heute fand sie keine Ruhe. Sie ging vom Wohnzimmer ins Schlafzimmer, durch den Flur in die Küche und dann zurück ins Wohnzimmer.
Nein, es hatte noch immer niemand angerufen.
Lorena ließ sich in ihren Sessel plumpsen. Sie nahm die Sonntagszeitung zur Hand und blätterte sie lustlos durch. Die üblichen Klatschgeschichten über Stars und Sternchen, ein paar Nachrichten und Gerüchte über das Königshaus. Schließlich musste jeder wissen, was Kate kürzlich bei ihrem Auftritt an der Seite des Prinzen getragen hatte, als die beiden irgendeiner wohltätigen Veranstaltung ein wenig von ihrem königlichen Glanz verliehen. Dann die üblichen Urlaubstipp s mit verlockenden bunten Bildern von tropischen Stränden unter wolkenlos blauem Himmel. Sie blätterte weiter. Von hinten nach vorn, so wie sie auch Zeitschriften durchsah. Eine Marotte, für die sie früher schon ihre Mutter aufgezogen hatte. Das Zeitungspapier raschelte zwischen ihren Fingern, als sie ungeduldig weiterblätterte. Sie wollte sie gerade weglegen, als ihr Blick an einem Artikel hängen blieb. Es war eigentlich ein Satz, der ihr ins Auge stach und der sie mitten in der Bewegung innehalten ließ.
»Sie war die schönste Frau, die ich jemals in meinem Leben gesehen habe«, schwärmte ein Zeuge mit verklärtem Blick. »Sie war makellos und strahlte etwas Seltsames aus, sodass ich gar nicht mehr wegsehen konnte. Es war, als habe sie mich mit einem Bann belegt, dem ich nicht entgehen konnte. Sie hat mich angelächelt und mich zu sich gewunken. Ich musste ihr gehorchen und losfahren. Ich konnte nicht anders!«
Nach dem Unfall war die mysteriöse Frau verschwunden, doch es gibt noch einen weiteren Zeugen, der sie gesehen haben will und sie ebenfalls als »nicht von dieser Welt« beschreibt. Ob das dem Unfallverursacher bei seiner Verteidigung hilft, ist allerdings fraglich. Noch liegt der junge Mann, den er überfahren hat, auf der Intensivstation im Koma. Seinen Zustand bezeichnen die Ärzte als »kritisch«.
Lorena ließ die Zeitung sinken. Ein seltsames Gefühl stieg in ihr auf. Dieser Bericht erinnerte sie an etwas, das sie vor nicht allzu langer Zeit in der Zeitung gelesen hatte. Auch ein Unfall, den laut Zeugen eine »außergewöhnlich attraktive Frau« verursacht haben sollte. Sie wurde als groß, sehr schlank, mit dunklen Augen und langem schwarzem Haar beschrieben, doch auch in diesem Fall war die Zeugin nicht mehr aufzutreiben gewesen.
Und dann die beiden unerklärlichen Selbstmorde, von denen sie gelesen hatte. Der Mann, der nachts von der Tower Bridge gesprungen war und dann, kaum eine Woche später, der Fall vom Dach des Hochhauses nicht einmal einen Block von ihrem Arbeitsplatz entfernt. Auch auf der Brücke wollten Zeugen kurz zuvor eine ungewöhnlich schöne, schwarzhaarige Frau gesehen haben.
So etwas Ähnliches wie eine schwarze Witwe, die statt ihrer Ehemänner wahllos Männer mordete und es wie Unfälle oder Selbstmorde aussehen ließ?
Du liest zu viele Kriminalromane, wehrte ihre innere Stimme ab. Man konnte das, was diese Reporter schrieben, nicht für bare Münze nehmen. Ihre Aufgabe war es, die Auflagen zu steigern, daher musste auch ein einfacher Unfall sensationell klingen. Und wenn dafür eine Frau herhalten musste, deren Schönheit nicht von dieser Welt sein konnte.
Ein Bild stieg in ihr auf, so als habe sie diese Frau schon einmal gesehen. Oder besser erahnt. Eine Frau, die so war wie sie selbst.
Blödsinn! Was wollte sie sich hier eigentlich vormachen? Lorena warf die Zeitung mit einer heftigen Geste in den Papierkorb und zog stattdessen das lederne Büchlein heran. Sie schlug es behutsam auf und las, was sie
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