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Nachtmahr - Das Erwachen der Koenigin

Nachtmahr - Das Erwachen der Koenigin

Titel: Nachtmahr - Das Erwachen der Koenigin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Schweikert
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erwartete sie bereits. Sie war inzwischen fast siebzig, trug ihr Haar in kleinen grauen Locken und hatte ein warmes, robustes Tweedkostüm an, wie es sich für eine Frau ihres Alters gehörte. Sie umarmte Lorena herzlich und drängte sie und Jason hereinzukommen. Das ganze Haus duftete nach frisch gebackenen Scones, die es sonntags immer zum Tee gab. Für Lorena mit Honig, für ihre Tante mit Clotted Cream. Lorena spürte, wie Erinnerungen in ihr aufstiegen, obgleich sie dieses Haus zu Lebzeiten ihrer Großtante nur ein paar Mal mit Tante Ruby besucht hatte. Neugierig sah sie sich um. Tante Ruby hatte bei ihrem Umzug in ihr Elternhaus nur wenige ihrer eigenen Sachen mitgebracht. Die wuchtigen Sitzmöbel mit den schon etwas abgewetzten Bezügen schienen schon mehrere Generationen in der Familie zu sein. Und auch das Büfett und der wunderschöne ovale Esstisch aus Nussbaumholz waren Erbstücke von Rubys Mutter. Wie diese war auch Lorenas Tante eine glühende Anhängerin des Königshauses, was einem allerlei mehr oder minder kitschige Ausstellungsstücke demonstrierten. Zu den wie Schätze gehüteten Andenken an Lady Diana gesellten sich nun die ersten Stücke von William und Kate.
    »Sehr schön«, sagte Jason und kämpfte mit einem Grinsen.
    Lorena nickte. »Ja, das ist noch wahrer Patriotismus.«
    »Und es macht in den Zeitschriften viel mehr her, als die ewig grau gekleideten Männer der Politik«, musste Jason zugeben.
    »Unterhaltungswert hat das Königshaus allemal.«
    »Muss es auch. Ist schließlich ein sehr teures Vergnügen, das wir uns da leisten.«
    »Junger Mann«, mischte sich nun Tante Ruby ein, die gerade mit einer frischen Kanne Tee und Gurkensandwiches – wie sie die Queen jeden Nachmittag zu sich nimmt – aus der Küche kam. »Habe ich da gerade die Stimme der Gegner unserer Royals in meinem Haus vernommen?«
    Unter Lorenas beschwörendem Blick wehrte er ab und mied von da an jede Klippe, die den harmonischen Nachmittag hätte gefährden können. Gegen sieben verabschiedeten sie sich und fuhren nach Notting Hill zurück. Sie aßen eine Kleinigkeit in einem nahen Pub, dann brachte Jason Lorena nach Hause.
    »Darf ich bleiben?«, fragte er und küsste sie zärtlich auf den Hals. »Ich mach dir morgen auch das Frühstück und räume hinterher auf, wie es sich für einen ordentlichen Hausmann gehört, während die moderne Geschäftsfrau zur Arbeit in die City eilt.«
    »Hast du morgen nichts zu tun?«
    »Nur ein paar Stunden für das nächste Konzert üben und zwei Schüler am Nachmittag.«
    Lorena schwankte. Es wäre schön, in seinen Armen einzuschlafen und am Morgen in ihnen aufzuwachen. Um halb sieben, wenn der Wecker sie rüde aus dem Schlaf riss? Nein! Sie war jetzt schon todmüde, und wenn Jason blieb, würde sie auch nicht so schnell zur Ruhe kommen.
    »Nein, mein Schatz. Es tut mir leid, aber ich brauche meinen Schönheitsschlaf.«
    Natürlich erkannte er – ganz Gentleman – sein Stichwort und protestierte, doch Lorena ließ sich nicht erweichen. Sie küsste ihn leidenschaftlich, drängte ihn dabei aber zur Tür.
    »Das ist nicht fair«, setzte er sich zur Wehr. »Erst Appetit machen und dann wegschicken.«
    »Du hast doch gerade erst gegessen«, wandte Lorena ein.
    »Gegessen ja, aber was ist mit dem Nachtisch?«
    Doch sie ließ sich nicht erweichen, und so gab Jason nach, verabschiedete sich und trollte sich die Treppe hinunter auf die Straße. Inzwischen hatte es zu regnen begonnen. Ein feiner, kalter Nieselregen hüllte die dunkle Stadt ein. Jason schlug den Kragen seiner Jacke hoch und kramte den Autoschlüssel aus der Hosentasche. In Gedanken noch bei Lorena, lief er zu seinem Morris, als er den Blick spürte, der wie ein Feuerstrahl durch seine Innereien zuckte. Wie gelähmt blieb er stehen. Es kostete ihn Mühe aufzusehen, und dennoch konnte er gar nicht anders, als diesem Zwang zu folgen, der nicht aus ihm selbst zu kommen schien. Da lehnte eine Gestalt an der Motorhaube seines Wagens. Sie war trotz der Herbstkälte nur leicht bekleidet. Der Regen hatte ihr dünnes Kleid durchnässt, das sich nun wie eine zweite Haut um ihren Körper schmiegte und mehr enthüllte als verbarg.
    »Hallo, Jason«, sagte sie mit dieser dunklen Stimme, die ihn erschaudern ließ. Obwohl er sich dagegen wehrte, spürte er die Hitze in seinem Innern aufsteigen.
    »Was für eine herrliche Nacht, findest du nicht?« Sie rekelte sich wie eine Katze. Eine große Katze, mit langen, scharfen Krallen und dem

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