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Nachtprogramm

Nachtprogramm

Titel: Nachtprogramm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Sedaris
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Manieren, seiner Selbstsicherheit oder seinem ansteckenden Enthusiasmus erfreuen. Selbst seine Eltern schienen in seiner Gegenwart aufzublühen und sich ein wenig aufzurichten, als er neben ihnen Platz nahm. Unter anderen Umständen hätte mein Vater auf der Stelle einen Narren an ihm gefressen, ihn womöglich gar mit Sohn angeredet, aber hier ging es um Geld, und er riss sich zusammen.
    »Also gut«, sagte Mr. Pope. »Da jetzt alle versammelt sind, können wir die Angelegenheit hoffentlich rasch bereinigen. Ich habe ohnehin den Eindruck, es handelt sich hier bloß um ein kleines Missverständnis unter Freunden.«
    Ich senkte den Blick und wartete darauf, dass Thad seinen Vater aufkl är te. »Freunde? Mit dem?« Ich war auf sein Lachen oder Thads berühmtes Schnauben gefasst, aber er sagte gar nichts. Und mit seinem Schweigen hatte er mich endgültig für sich gewonnen Ein kleines Missverständnis – genau das war es. Wieso hatte ich das nicht früher erkannt?
    Als Erstes musste ich meinen Freund schützen, also erklärte ich, ich hätte mich praktisch in die Flugbahn von Thads Stein geworfen.
    »Warum zum Teufel hat er denn mit Steinen geworfen?«, fragte mein Vater. »Und wen verdammt noch mal wollte er treffen?«
    Mrs. Popes gerunzelte Stirn signalisierte, dass eine solche Ausdrucks weise in ihrem Hobbykeller nicht erwünscht war.
    »Ich meine, mein Gott, der Kerl ist ja kein Vollidiot.«
    Thad schwor, er habe niemanden treffen wollen, und ich pflichtete ihm bei und sagte, wir Jungen würden das alle machen. »Wie in Vietnam oder so... Beschuss aus den eigenen Reihen.«
    Mein Vater sagte, was zum Teufel ich schon von Vietnam wisse, und er neut zuckte Thads Mutter zusammen und sagte, die Jungen würden solche Dinge aus dem Fernsehen aufschnappen.
    »Sie wissen ja nicht, was Sie da reden«, sagte mein Vater.
    »Meine Frau meinte bloß...«, sagte Mr. Pope.
    »Ach, Humbug.«
    Die drei Popes blickten sich viel sagend an und hielten so etwas wie ein kurzes telepathisches Powwow. »Der Mann ist irre«, meldeten die Rauchzeichen. »Macht überall jede Menge Ärger.«
    Ich sah meinen Vater an, einen Mann in dreckigen Shorts, der sein Bier aus der Büchse trank, anstatt es erst in ein Glas zu kippen, und ich dachte: Du gehörst nicht hierher. Genauer gesagt, ich beschloss, dass er der Grund war, warum ich nicht hierher geh örte. Sein aufgesetztes griechisches Gere de, die Belehrungen, wie man Beton richtig anrührte, das Gezänk, wer die blöde Zahnarztrechnung bezahlen müsste – nach und nach war das alles in mein Blut eingesickert und hatte mich meiner natürlichen Gabe beraubt, anderen zu gefallen. Solange ich mich erinnern konnte, hatte er uns eingeredet, es sei völlig egal, was andere Leute von uns dachten: Ihr Urteil sei bloß ein Haufen Müll, reine Zeitverschwendung, Mumpitz. Nur war es e ben nicht egal, erst recht nicht, wenn die anderen Leute diese Leute waren.
    »Nun«, sagte Mr. Pope. »Ich denke, so kommen wir nicht weiter.«
    Mein Vater lachte. »Genau so ist es.« Es klang wie ein Satz zum Abschied, aber anstatt aufzustehen und zu gehen, lehnte er sich im Sofa zurück und stellte seine Bierdose auf den Bauch. »Keiner kommt so weiter.«
    Ich bin mir ziemlich sicher, Thad und ich hatten in dem Augenblick das gleiche düstere Szenario vor Augen. Der Rest der Welt ging seinen Geschäften nach, nur mein Vater hielt ungewaschen und mit zotteligem Bart das Sofa im Hobbykeller in Beschlag. Weihnachten kam, Freunde erschienen zu Besuch, und die Popes führten sie mit verbitterter Miene zu den Sesseln. »Kümmert euch nicht um den«, sagten sie. »Der geht irgendwann schon wieder.«
    Zuletzt erklärten sie sich bereit, die Hälfte der Kosten für die Wurzelbehandlung zu übernehmen, nicht, weil sie es für angemessen hielten, sondern um uns loszuwerden.
    Manche Freundschaften werden aufgrund gemeinsamer Interessen und Vorstellungen geschlossen: Beide Seiten begeistern sich für Judo oder Camping oder die Herstellung von Würsten. Andere Freundschaften entstehen als Bündnis gegen einen gemeinsamen Feind. Beim Verlassen von Thads Haus beschloss ich, unsere würde zur zweiten Kategorie gehören. Zuerst würden wir gemeinsam über meinen Vater herziehen, und dann würden wir nach und nach zu den zahllosen anderen Dingen und Personen kommen, die wir nicht ausstehen konnten. »Du magst keine Oliven?«, hörte ich ihn sagen. »Ich auch nicht.«
    Im Endeffekt war die einzige Sache, die wir beide nicht ausstehen

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