Nachtruf (German Edition)

Titel: Nachtruf (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leslie Tentler

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gestand er sich schließlich ein. Vor allem weil ihre Angst nach dem Angriff echt gewesen war. Trevor führte sich wieder vor Augen, wie Rain in jener Nacht im Untersuchungsraum der Notaufnahme zusammengebrochen war. Sie hatte in seinen Armen gezittert, ihre Tränen hatten feuchte Flecke auf seinem Hemd hinterlassen. Schuldgefühle kamen in ihm hoch, als er an die Quetschungen an ihrem Hals dachte, die vom Würgegriff des Mannes stammten. Das war nicht gespielt gewesen.
    Also warum hatte er auf D’Albas Behauptung so übertrieben reagiert?
    Wenn du mir misstraust, ist es leichter, mich auszuschließen. So gehst du mit jedem um, der dich mag. Mit Brian, deiner Schwester, mir.
    Rains Diagnose war verblüffend zutreffend.
    In vielerlei Hinsicht glaubte Trevor, sich von seiner Vergangenheit erholt, ja, sie hinter sich gelassen zu haben. Doch es schien, als ob sie immer noch jeden Tag einen Teil von ihm einforderte, ihn misstrauisch und einsam machte. Vor Rain hatte es andere Frauen gegeben. Einige, um genau zu sein. Aber wenn eine von ihnen den Fehler gemacht hatte, sich in ihn zu verlieben, hatte er so viel Distanz aufgebaut, wie er nur konnte. Seine Arbeit hatte ihm immer eine bequeme Ausrede geliefert – zu viel Verantwortung, zu viele Reisen –, sodass er nie eine echte Verbindung hatte eingehen oder aufrechterhalten müssen.
    Trevor starrte auf seine aufgeschürften Fingerknöchel; das Ergebnis seiner explosiven Reaktion auf das Stacheldraht-Tattoo des Angreifers. McGrath und Thibodeaux hatten ihn förmlich von dem Mann wegzerren müssen. Danach hatte er die Wand im Dienststellenbüro mit der Faust bearbeitet, um irgendwieseinen Zorn einzudämmen. Glücklicherweise hatte er sich nicht die Hand gebrochen. Was war bloß passiert? Hatte Rain sich so schnell in sein Herz geschlichen?
    Er zupfte an seiner Unterlippe und starrte aus der Windschutzscheibe hinaus auf die mit Moos behangenen Eichen und das saftige Gras im Park. Im grünlichen Wasser eines Teiches nahe der Straße spiegelte sich das Mondlicht. Der vertraute, schwefelartige Geruch der Pflanzen, die sich im Teich zersetzten, zog durch die Klimaanlage in den Wagen. Dieser Ort, diese Stadt verband ihn mit schmerzvollen Erinnerungen, die in seinem Leben keinen Platz mehr hatten.
    Das geht über den Konflikt mit deinem Vater hinaus. Was ist passiert, dass es dir so schwerfällt, anderen zu vertrauen?
    Sein Handy klingelte. Er zog es aus der Tasche und klappte es auf. „Rivette.“
    Fünfzehn Sekunden später vollführte der Taurus eine scharfe Wende und fuhr wieder auf die Straße. Trevor steuerte zurück in Richtung Lower Garden District. Der Spruch, dass man seinen Zorn immer am Verantwortlichen auslassen sollte und nicht am Überbringer der Nachricht, schoss ihm durch den Kopf. Am liebsten hätte er den wachhabenden Officer in Rains Haus gründlich verprügelt. Der Mann hatte ein Auge auf sie haben sollen. Zumindest hatte er den Mut besessen und die Nachricht selbst überbracht.
    Irgendwie war sie entwischt.
    Trevor wählte die Nummer von Rains Handy, doch es meldete sich nur die Mailbox. Er hinterließ eine knappe Mitteilung und forderte sie auf, ihn zurückzurufen. Dann schickte er ein Stoßgebet zum Himmel, dass sie das Haus aus eigenem Antrieb verlassen hatte.
    Denn ganz gleich, ob Armand Baptiste nun der gesuchte Dante war oder nicht – der Killer war noch immer irgendwo da draußen.

33. KAPITEL
    Der russische Wodka war eiskalt. Sie hatten ihn in dem Mini-Kühlschrank in Alex’ Büro entdeckt. Auch wenn sie sich aus Hochprozentigem nicht viel machte, nahm Rain einen großen Schluck. Sie spürte, wie sich die Wärme des Alkohols in ihrem Magen ausbreitete. Auf einmal fühlte sie sich so ruhig wie seit Stunden nicht mehr.
    „Alex bewahrt oben im Loft keinen Alkohol auf. Wegen Brian“, erklärte Annabelle, während sie sich auf den ledernen Schreibtischstuhl setzte. „Aber für die Kunden der Galerie hat er hier unten immer einen kleinen Vorrat.“
    Rain betrachtete Annabelle in dem weichen Licht des Büros. Ihre elfenbeinfarbene Haut und das dunkle Haar bildeten eine beeindruckende Mischung. Wie ihre Brüder war auch Annabelle athletisch gebaut. Ihre Nase und die Kieferpartie wirkten jedoch zart und feminin, und ihre vollen Lippen strahlten Sinnlichkeit aus. Trevors Zwilling. Seit Rain davon wusste, war ihr Trevors Entfremdung von seiner Familie noch viel rätselhafter. Immerhin war seine Verbindung zu Annabelle stärker und besonderer als die