Nachtruf (German Edition)
sie neben eine Aufnahme von Desiree gesetzt. Ihre Mutter und sie sahen aus wie Doppelgängerinnen. Die Überschrift lautete:
Déjà-vu: Tochter von ermordeter Sängerin beinahe auch Opfer.
Als das Telefon auf dem Nachttisch zum zweiten Mal an diesem Morgen klingelte, sprang Rain sofort auf. Misstrauisch beäugte sie den Apparat – ihre Nummer stand nicht im Telefonbuch, doch das hatte den Reporter von Associated Press nicht davon abgehalten, sie ausfindig zu machen.
Associated Press. Das Interesse der Nachrichtenagentur bedeutete, dass die Geschichte nicht länger eine rein lokale Angelegenheit war – sie hatte inzwischen landesweite Beachtung gefunden. Dieses Mal warf sie einen Blick auf die Anruferkennung auf dem Gerät, bevor sie den Hörer abnahm. Sie kannte die Nummer.
„Rain, ich schicke dir einen Wagen. Wir brauchen dich hier im Studio.“
Sie strich sich die Haare aus dem Gesicht und blickte zum Fenster hinaus. Zwei Vans parkten auf der anderen Straßenseite. Auf dem Wagen, der am nächsten zum Haus stand, prangte auf der Seite in dicken Lettern der Schriftzug WKOL-TV – Die Nachrichten, die dich angehen . Zwei Kameramänner und ein Reporter standen im Schatten des Pekannussbaumes herum.
„Ich komme nicht, David.“
„Zieh nicht so einen Mist ab, Rain. CNN hat angerufen …“
„Hast du die Story verbreitet?“ Sie schloss die Augen. DieAntwort kannte sie bereits.
„Wen zur Hölle interessiert das? Der Punkt ist, sie ist jetzt draußen. Dieser Dante-Spinner ist besessen von dir. Er hat gestern versucht, dich zu töten. Es ist jetzt eine Sache von öffentlichem Interesse, und die Medien sind verrückt danach. Ich habe heute Morgen bereits einen Anruf vom People -Magazin bekommen. Eine solche Publicity kann man sich nicht kaufen, und ich werde nicht zulassen, dass du mir das Ganze ruinierst.“
„Ich spreche mit niemandem. Wir wissen ja noch nicht mal mit Sicherheit, ob es Dante war, der mich letzte Nacht überfallen hat.“
„Folgendes: Du stehst noch immer bei uns unter Vertrag, und Promotion-Auftritte für Midnight Confessions gehören zu den Bedingungen.“
„Das ist ja wohl kaum ein Promotion-Auftritt …“
„Du bist in einer Stunde hier im Studio, oder du kannst dich als gekündigt betrachten. Jeder ist ersetzbar. Sogar du.“
Die Leitung war tot, und Rain stellte den Hörer zurück auf die Station. Sie hatte doch aus dem Vertrag aussteigen wollen, oder etwa nicht? Trotzdem – die Vorstellung, dass David die Geschichte mit dem Überfall an die Presse verraten hatte, um öffentliche Aufmerksamkeit für Midnight Confessions zu gewinnen, erstaunte sie. Rain dachte an Trevor. Die Geschichte würde ihm ohne Zweifel Schwierigkeiten bereiten. Es hatte schon Medienberichte über einen angeblichen Serienkiller in New Orleans gegeben, aber die vermehrte Berichterstattung würde die öffentliche Aufmerksamkeit verstärkt erregen und den Druck erhöhen, den Täter zu finden. Dass sie als Desiree Sommers’ Tochter in das Ganze verwickelt war, machte die Story leider doppelt so sensationell. Sie nahm wieder den Hörer zur Hand und wählte die Nummer von Trevors Handy, doch sie erreichte nur seine Mailbox. Rain hinterließ ihm eine Nachricht und bat um Rückruf.
Schließlich war sie geduscht und angezogen, aber noch immer hatte sie nichts von ihm gehört. Sie wollte es gerade noch einmalauf seinem Handy versuchen, als unten im Erdgeschoss ein Tumult entstand. Laute Stimmen riefen gegen den schrillen Ton der Alarmanlage an. Schließlich wurde der Lärm abgeschaltet. Vorsichtig öffnete Rain die Tür des Schlafzimmers. Sie spähte über die Brüstung und sah Officer Arseneau, der den wild protestierenden Oliver gegen die Wand drückte.
Der Polizist drehte Oliver die Arme auf den Rücken und versuchte, ihm Handschellen anzulegen, als Rain endlich das untere Ende der Treppe erreichte.
„Lassen Sie ihn los!“, schrie sie und fürchtete, der Officer könnte sie über Olivers beleidigende Flüche hinweg nicht hören. „Er ist einer meiner Patienten!“
Auch wenn Oliver fast so groß war wie der Officer, war der Mann doch wesentlich muskulöser und bestens trainiert. Als der Junge ihm ein feindseliges „Fick dich!“ entgegenschleuderte, trat der Officer ihm von hinten in die Kniekehlen. Mit einem schmerzerfüllten Ächzen sackte Oliver zu Boden.
„Das reicht“, sagte Rain entschieden.
„Dieser rotznäsige Scheißkerl … Entschuldigen Sie, Ma’am. Er kam durch die Hintertür
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