Nachts kommt die Angst: Psychothriller (German Edition)

zerbrach der Pinsel in Harris’ Hand. Im Aufstehen warf er ihn weit von sich, zertrat mit einem kräftigen Tritt die Gemüsekiste, griff nach der Marderfalle, die neben ihm im Gras stand, und sah hinein. »Du störst hier zwar niemanden mehr, aber du musst trotzdem umziehen«, sagte er zu dem verängstigt in einer Ecke des Käfigs hockenden Marder. Harris warf einen letzten Blick auf das Haus und ging dann langsam zu seinem Auto. Schneider folgte ihm.
    »Wie hat sie es geschafft, Theresias Leiche auf die Insel zu bringen?«, fragte Harris.
    Schneider blieb stehen, zündete sich eine Zigarette an und blies hörbar den Rauch durch die Lippen. »Ehrlich? Wir wissen es nicht.«
    Als würde er erneut darüber nachdenken müssen, lief er eine Weile kopfschüttelnd hinter Harris her, erst am Auto holte er ihn wieder ein.
    »Ich habe heute mit Professor Lenning von der Psychiatrischen Uniklinik in Frankfurt am Main gesprochen. Im Fachjargon heißt es paranoide Schizophrenie. Kurz nachdem man Alexandra in Lennings Klinik eingeliefert hatte, unternahm sie einen Selbstmordversuch. Man informierte ihre Eltern, die sich daraufhin mitten in der Nacht ins Auto setzten und zur Klinik fuhren. Ein Schwertransporter rammte ihren Wagen mitten auf einer Kreuzung, und beide verstarben noch an der Unfallstelle. Innerhalb weniger Monate verlor Alexandra ihre gesamte Familie. Das ist jetzt dreizehn Jahre her. Die Ärzte entließen sie nicht als geheilt, sondern als mehr oder weniger stabil, was ihre Psyche anging. Das, was hier geschehen ist, war nicht vorhersehbar.«
    »Sie hat immer von ihnen gesprochen, als seien sie noch am Leben. Meinen Sie, der Tod ihres Bruders und der Eltern führte dazu, dass sie wahnsinnig wurde?«
    »Nein, das kann man so nicht sagen. Aber es war sicher der Auslöser für den Ausbruch der Krankheit. Schizophrenie tritt in den meisten Fällen schubweise auf, und dieser Schub kann mehrere Wochen oder gar Monate dauern. Danach klingt die Krankheit mehr oder weniger vollständig ab, bis nach Monaten oder Jahren ein neuer Schub kommt. Alexandra projizierte die eigenen Versagensthemen auf ihre Opfer. Wahllos, ohne erkennbare Verschuldung der jeweiligen Person, außer vielleicht, dass sie weiblich und rothaarig waren. Das machte sie in ihren Augen schuldig. Sie konnte sich an niemandem rächen für das, was ihr passiert war, weil sie selbst die Schuld daran trug. Der gesunde Teil von ihr wusste das, der krankeaber ließ sie zu dem werden, was sie war. Eine Psychopathin. Der gescheiterte Selbstmordversuch führte letztlich dazu, dass sie begann, andere zu töten. Das Schizophrene ist: Äußerlich tötete sie diese Frauen, in ihrem Geist aber tötete sie sich selbst.«

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Leseprobe aus:
    Gabriela Gwisdek
    Die Fremde
    Broschur
259 Seiten
ISBN 978-3-7466-2624-6

1.
    »Wir müssen reden«, waren die letzten Worte seiner Frau, bevor sie auflegte. Markus schaltete das Autoradio ein, in der Hoffnung, die Nachrichten der Welt würden das Bild in seinem Kopf zertrümmern. Schon seit Tagen drängten sich ihm, wenn er an Katharina dachte, die wildesten Eifersuchtsphantasien auf, nun nahmen sie konkrete Formen an. Um ihr nicht das Gefühl zu geben, von ihm kontrolliert zu werden, hatte er es immer vermieden, sie nach einem erfolglosen Anruf zu Hause auf ihrem Handy anzurufen. Sie hatte ihm aber nie erklärt, wo sie gewesen war, wenn er sie nicht erreicht hatte.
    Der Regen peitschte über die Straße, so dass er Mühe hatte, die immer stärker verschwimmenden Konturen der Straßenbegrenzung zu erkennen. Es war ein Tag gewesen, an dem alles schiefgegangen war.
    Die Besprechungen in den Firmen waren zäh und langwierig gewesen, und die Abschlüsse, die er als Verkaufsmanager pro Monat zu erbringen hatte, waren wieder einmal ausgeblieben, was dem kommenden Gespräch mit seinem Chef alles andere als zuträglich war. Zudem wurden die freien Tage zwischen den Touren immer seltener, da die Auftragslage total mies war. Markus war mittlerweile fünfunddreißig und hatte eigentlich noch nichts zustande gebracht. Seine Harley war einem VW Passat gewichen, die neue, viel zu kleine Wohnung ließ er von seiner Frau einrichten; nicht einmal seine Kleidung hatte er selbst gekauft. Die anfänglichen Rituale des Verliebtseins waren nach nur zwei Jahren Ehe der Gewohnheit gewichen, und die Bilder, die sich ihm boten, wenn er nach Hausekam, ließen ihn oftmals zusammenschrecken: Katharina auf der Couch vor dem Fernseher, ein müdes