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Nachts

Nachts

Titel: Nachts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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John Delevan, und Kevin bemerkte zum ersten Mal eine unangenehme Überraschung , daß sein Vater allmählich grau wurde.
    »Es war eigentlich gar nichts Besonderes«, sagte Mr. Delevan. Es war fast, als würde er mit sich selbst sprechen. »Das ist bei Pop Merrill immer so. Er ist kein Typ mit gr oßen Maßstäben, wenn du verstehst, was ich meine.«
    Kevin nickte.
    »Weißt du, er ist ein vergleichsweise wohlhabender Mann, aber sein Trödelladen ist nicht der Grund dafür. Er ist Castle Rocks Ver
    sion von Shylock.«
    »Von wem?«
    »Vergiß es. Früher oder später wirst du das Stück lesen, wenn die Bildung nicht völlig im Arsch ist. Er verleiht Geld zu Zinssätzen, die höher sind, als das Gesetz erlaubt.«
    »Warum leihen die Leute dann bei ihm?« fragte Kevin, während sie unter Bäumen, von denen langsam rote und purpur ne und goldene Blätter fielen, Richtung Innenstadt gingen.
    »Weil«, sagte Mr. Delevan gallig, »sie nirgends sonst leihen kön
    nen.«
    »Du meinst, sie sind nicht kreditwürdig?«
    »So ähnlich.«
    »Aber wir du «
    »Ja. Jetzt geht es uns gut. Aber es ging uns nicht immer gut. Als deine Mutter und ich frisch verheiratet waren, ging es uns so ziem
    lich das genaue Gegenteil von gut.«
    Er verstummte wieder eine Weile, und Kevin drängte ihn nicht.
    »Nun, da war ein Typ, der in einem Jahr ungeheuer stolz auf die Celtics war«, sagte sein Vater. Er sah auf seine Füße, als befürchtete er, er könnte in ein Loch treten. »Sie spielten damals gegen die Phil
    adelphiaSechsundsiebziger. Sie die Celtics hatten gute Ge
    winnchancen, aber nicht so gute wie sonst immer. Ich hat te das Gefühl, die Sechsundsiebziger würden sie packen, daß es ihr Jahr werden würde.«
    Er sah seinen Sohn rasch an, ein fast verstohlener Blick, wie von einem Ladendieb, der einen kleinen, aber wertvollen Gegenstand nimmt und in die Tasche steckt, dann achteten sie wieder beide auf den Gehweg. Sie gingen jetzt Castle Hill hinab, auf die einzige Am
    pel der Stadt an der Kreuzung Lower Maine Street und Watermill Lane zu. Hinter dieser Kreuzung führte die von den Einheimischen sogenannte Tin Bridge über den Castle Stream. Ihre Stahlkonstruktion teilte den blauen Herbsthimmel in fein säuberliche geometrische Formen.
    »Ich glaube, es ist dieses Gefühl, diese spezielle Gewißheit, welche arme Teufel ansteckt, die ihre Bankkonten, ihre Häuser, ihre Autos und selbst ihre Kleidung verlieren, wenn sie in Kasinos und bei Pokerrunden im Hinterzimmer setzen. Das Gefühl, daß man ein Telegramm von Gott bekommen hat. Ich hatte es nur einmal, und dafür danke ich Gott.
    Damals machte ich ab und zu eine freundschaftliche Wette auf ein FootballSpiel oder die Meisterschaft, Höchsteinsatz fünf Dollar, glaube ich; für gewöhnlich viel weniger, nur einen Vierteldollar oder eine Schachtel Zigaretten.«
    Diesmal riskierte Kevin einen verstohlenen Blick, aber Mr. Delevan sah ihn, Löcher im Gehweg hin oder her.
    »Ja, damals habe ich auch geraucht. Heute rauche ich nicht mehr und wette nicht mehr. Nicht seit dem letztenmal. Dieses letzte Mal hat mich kuriert.
    Damals waren deine Mutter und ich erst zwei Jahre verheiratet, und du warst noch nicht auf der Welt. Ich arbeitete als Vermessungsassistent und brachte nur hundertsechzehn Dollar die Woche nach Hause. Das bekam ich jedenfalls heraus, nachdem die Regierung sich bedient hatte.
    Der Typ, der so stolz auf die Celtics war, war einer der Ingenieure. Er trug sogar eine dieser grünen CelticsJacken zur Arbeit, die mit dem Kleeblatt auf dem Rücken. In der Woche vor dem Spiel sagte er, er würde gerne einen finden, der mutig und dumm genug ist, auf die Sechsundsiebziger zu setzen, we il er vierhundert Dollar übrig hatte und nur darauf wartete, daß sie ihm eine hübsche Divi
    dende einbringen würden.
    Diese Stimme in mir wurde lauter und lauter, und am Tag vor Beginn der Meisterschaft ging ich in der Mittagspause zu ihm. Ich hatte solche Angst, daß ich glaubte, das Herz würde mir in der Brust zerspringen.«
    »Weil du keine vierhundert Dollar gehabt hast«, sagte Kevin.
    »Der andere schon, aber du nicht.« Er sah seinen Vater jetzt unverhohlen an, und die Kamera hatte er zum erstenmal seit seinem ersten Besuch bei Pop Merrill völlig vergessen. Das Wunder, was die Sun 660 vollbrachte, war zumindest vorübergehend von einem größeren Wunder überstrahlt worden: Als junger Mann hatte sein Vater etwas ausgesprochen Dummes gemacht, wie Kevin es von anderen Männern wußte und wie

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