Nachtsafari (German Edition)
passiert, wovor du dich so fürchtest, dass du es mir nicht sagen kannst, Liebling? Warum bist du vor diesem schwarzen Ranger weggelaufen? Bitte, sag’s mir.«
Er ließ die Arme herunterfallen, bewegte seine Kiefer, als würde er auf etwas Zähem kauen. Bevor er jedoch ein Wort hervorgebracht hatte, erschütterte ein tiefes, dumpfes Grollen die Atmosphäre.
Silke erschrak. »Kommen die Elefanten etwa zurück?«
»Nein, das Gewitter ist im Anzug«, rief Marcus und ließ sie los. »Ich habe doch gesagt, wir müssen hier weg. Reden können wir später. Nimm das Ende vom Gürtel und halte dich immer dicht hinter mir.« Damit schwang er herum und hielt die Zweige des Wag-’n-bietjie-Buschs für sie zurück. »Los, wir haben nicht viel Zeit. Duck dich und kriech unter den Zweigen hindurch.«
Sie hatte keine Wahl, als ohne Widerrede zu gehorchen. Ihr standen die Haare auf den Armen zu Berge, als wäre sie in ein starkes elektrisches Feld geraten. Gleichzeitig überfiel sie ein so erschreckendes Gefühl von unmittelbarer Bedrohung, dass jeder Nerv in ihrem Körper vibrierte. Dass sie ihre Tasche mit ihrem Pass und dem Geld im zerstörten Wagen vergaß, registrierte sie in ihrem Schrecken nicht.
»Ich habe Angst«, stammelte sie. »Dieses Gefühl … Mir stehen die Haare zu Berge …« Zu ihrer Verblüffung hörte sie ihn kurz auflachen.
»Das kommt vom Gewitter. Die elektrostatische Aufladung. Hier ist sie besonders stark, daher auch elektrische Stürme. Sowie es regnet, ist der Spuk vorbei.«
»Hoffentlich«, murrte sie. Ihr fiel nicht ein, noch einmal zu hinterfragen, woher er sein Wissen nahm, zu sehr war sie damit beschäftigt, mit heiler Haut durchs Dornengebüsch zu gelangen.
Nach ein paar Minuten wurde der Mond durch schwarze Wolken verschluckt, und sie konnte keine Hand mehr vor den Augen sehen. Marcus schaltete die Taschenlampe ein, und der weiße Lichtfinger führte sie durchs Dickicht. Als in einiger Entfernung plötzlich tanzende Lichter auftauchten, wurde ihr vor Erleichterung ganz schwindelig.
»Da sind Leute«, krächzte sie. »Da vorn. Sie tragen Lampen, kannst du sie leuchten sehen?«
Marcus hielt die Stablampe in die Richtung, antwortete aber nicht gleich. »Das sind keine Menschen«, flüsterte er dann in einer Stimme, die ihr ein Kribbeln über den Rücken jagte. »Das sind Hyänen.«
»Was?« In Panik starrte Silke auf die Lichter. Sie waren eiförmig und schienen immer zu zweit ein Ballett zu tanzen. Dazu hörte sie ein eigenartiges Gekicher.
»Ihre Augen reflektieren das Licht von unserer Taschenlampe.« Er bückte sich, fand einen Ast und schleuderte ihn auf die Hyänen. Mit einem lauten Aufjaulen verschwand der Spuk. »So, die sind weg, und wir müssen weiter, und zwar schnell. Halt dich am Gürtel fest.«
Silke tat, was er gesagt hatte, trotzdem strauchelte sie immer wieder, stolperte über quer liegende Äste, stieß sich an Felsen. Obwohl sie nicht wirklich nachtblind war, hatte sie im Dunkeln Schwierigkeiten, Gegenstände und Konturen zu erkennen. Marcus dagegen konnte nachts sehen wie eine Katze. Eine Hand wie einen Fühler ausgestreckt, die andere um den Gürtel geklammert, folgte sie ihm.
»Ich habe meine Tasche vergessen«, keuchte sie irgendwann und blieb stehen. »Mein Pass und mein Geld … wir müssen zurück.«
Marcus zog sie weiter. »Wenn du vom Blitz verkohlt wirst, brauchst du keinen Pass mehr. Wir holen das alles morgen. Außerdem habe ich Kopien von den Pässen im Bungalow. Wir beantragen einfach neue.«
Silke protestierte nicht mehr, sondern stolperte wortlos hinter ihm her. Immer wieder krachte der Donner Schlag auf Schlag, ohne Unterlass, und dann mischte sich ein Brausen darunter, ein tiefes Rauschen, das rasend schnell näher kam, anschwoll, bis es laut war wie ein herannahender Zug. Silke duckte sich erschrocken. Das Rauschen fegte über sie hinweg, und dann war er da. Der Regen.
Ein Donnerschlag erschütterte das Universum, ein Wasserfall stürzte auf sie herunter. Binnen einer Minute verwandelte sich ihre Welt in eine donnernde Wasserhölle, unablässig zuckende Blitze zerrissen die Schwärze, täuschten ihren Blick, machten sie zunehmend orientierungslos. Ein reißender Bach strudelte um ihre Knöchel, zerrte mit erschreckender Stärke an ihren Beinen. Marcus war nur noch ein tanzender Schemen im Regengrau. Ihr einziger Rettungsanker war das Ende des Gürtels, der aber war nass geworden, glitschig, und sie musste sich mit beiden Händen daran
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