Nachtsafari (German Edition)
nach einer Pause fort und ließ den Stift kreiseln. »Wohin sollten wir auch gehen? Meine Urururgroßeltern stammen aus Deutschland. Johann Steinach aus dem Bayerischen Wald, Catherine, seine Frau, aus der Gegend um Hamburg. Sie beide haben Inqaba gegründet und dem Busch abgetrotzt. Soweit ich weiß, lebt niemand mehr von Catherines Familie dort oben. Aber eine Familie Steinach gibt es noch im Bayerischen Wald …«
Silke verspürte eine fast schmerzhafte Sehnsucht nach ihren Großeltern. Nach ihrer unerschütterlichen Liebe, ihrer Wärme. Der Geborgenheit in ihren Armen. Nach ihren eigenen Wurzeln. »Es ist sehr schön dort. Warst du schon mal da?«
Jills Brauen zuckten. »Zwei Mal war ich dort, habe die Steinachs und die Bernitts besucht, die Familie meines ersten Mannes.« Bei der Erwähnung des Namens verzog sie ihr Gesicht, als hätte sie auf eine Zitrone gebissen. »Aber seitdem ist die Verbindung abgerissen. Wir waren uns einfach … zu fremd. Mit dem Menschenschlag komme ich nicht klar, jedenfalls nicht mit dem, mit dem ich verwandt bin, und in dem Klima würde ich eingehen wie ein … wie eine Bougainvillea im Winter. Im deutschen Winter. Heimat ist da, wo man nicht wegwill«, sagte sie mit einem versonnenen Lächeln.
Silke hob erstaunt den Blick. »Woher hast du denn den Spruch? Der kommt aus meiner Heimat.«
»Meine Urururgroßmutter Catherine Steinach sagte das immer.«
»Kluge Frau, deine Urururgroßmutter.«
»Oh, das war sie. Eine bemerkenswerte Frau. Ungeheuer praktisch veranlagt. Sehr durchsetzungsfähig. Und sie konnte fluchen wie ein betrunkener Matrose.«
»Was dich aufs Genaueste beschreibt, mein Herz, besonders das Letztere.« Nils grinste sie an und wich geschickt ihrem Boxhieb aus.
Jill warf einen Blick himmelwärts. »Ich bin ein sanftes Lamm und im Gegensatz zu meiner wilden Vorfahrin geradezu gesittet.«
»Ach, ja? Glaub ihr kein Wort«, sagte er zu Silke. »Meine Frau ist im Busch aufgewachsen, legt sich mit Schlangen und wütenden Nashörnern an, lernte schießen, kaum, dass sie ein Gewehr halten konnte, und fluchen kann sie, dass einem die Augen tränen, kann ich dir versichern.«
»Ach Unsinn«, widersprach Jill, lächelte jedoch verschmitzt. Ihr Funkgerät knackte, und Jonas meldete sich. Jill drückte auf die Sprechtaste. »Ja, was ist?«
Jonas war gut zu verstehen. Offensichtlich hatte jemand von der Autovermietung angerufen und Bescheid gesagt, dass eine unvorhergesehene Verzögerung eingetreten war und der Ersatzwagen erst am frühen Nachmittag gebracht werden würde.
»So lange kann ich nicht warten«, sagte Silke. »Kann ich hier in der Nähe einen Wagen mieten? Möglichst mit Navigationssystem.« Sie trank den Rest ihres Kaffees aus und stand auf. Doch mit einem betroffenen Ausdruck sank sie wieder zurück auf den Stuhl.
»Was ist?« Nils sah sie fragend an.
»Meine Tasche mit meinem Pass und Geld liegt noch im Auto. Natürlich auch mein Führerschein, und ohne den und den Pass kann ich ja wohl kein Auto mieten, oder?«
Jill winkte ab. »Das ist kein Problem. Wenn es Schwierigkeiten mit dem Auto gibt, miete ich es auf meinen Namen. Wir können das später auseinandersortieren. In Ordnung?«
Silke nickte dankbar. »Ich muss irgendwo ein Mobiltelefon kaufen …« Sie stockte. Ohne Geld war das wohl auch nicht möglich. »Es bleibt mir nichts anderes übrig, ich muss schnellstens zurück zum Wrack. Bevor es jemand anderes findet. Hoffentlich liegt meine Tasche noch drin … Na ja, hoffen kann ich doch, nicht?«, setzte sie angesichts des skeptischen Gesichtsausdrucks der Rogges hinzu. »Vielleicht hat die Polizei es ja inzwischen lokalisiert und die Tasche sichergestellt …«
Aber sie hatte diesen Satz noch nicht zu Ende gesprochen, als sich laute Schritte näherten. Sekunden später platzte Kirsty ins Büro. Das Haar hing ihr strähnig ins Gesicht, die blauen Augen waren gerötet, das Gesicht vom Weinen geschwollen.
Bei ihrem Anblick überrollte Silke die Erinnerung an die letzte Nacht mit verstörender Wucht. Empört fuhr sie hoch.
Doch Kirsty hatte sie schon entdeckt und blieb wie angewurzelt stehen. »Da bist du ja. Bist du hierhergelaufen?« Ihr Blick wanderte zu Silkes wunden Füßen. Sie verzog ihren Mund. »Wohl nicht.«
Auch Nils war aufgestanden. Seine Miene war hart. »Kirsty! Gut, dass du kommst. Was zum Teufel hat dich denn letzte Nacht geritten? Das war ja wohl der Hammer, was du dir da geleistet hast, oder?« Er streckte einen Finger hoch.
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