Nachtsafari (German Edition)
geregelt. Er wartet in fünf Minuten auf dem Parkplatz. Passt dir das so?«
»Wunderbar. Danke.« Silke war restlos erleichtert. Mit Jonas, einem Zulu, an ihrer Seite würde sie sich bei dem Unterfangen, ihre Sachen aus dem Autowrack zu bergen, doch deutlich sicherer fühlen.
Die Haut auf Marcus’ Wangen war durch das ständige Hin- und Herdrehen blutig geschabt und sein Mund voller Dreck, aber das kümmerte ihn nicht. Er merkte es nicht einmal. Eben war es ihm beinahe gelungen, seine rechte Hand aus der Schlinge zu ziehen. Es fehlten nur noch Millimeter, und Mandla, der gerade aufgetaucht war, hatte es aus einem ihm unerfindlichen Grund versäumt, seine Fesseln zu überprüfen, eine Tatsache, die ihm einen heftigen Adrenalinstoß bescherte. Um sich nicht zu verraten, schob er die Hand vorsichtig wieder zurück in die ursprüngliche Position, fuhr aber fort, das Seil zu dehnen.
Der Strick, der seine Handgelenke fixierte, war mit dem verknotet, der um seine Beine geschlungen war, und ihm war natürlich klar, dass er mit gefesselten Beinen nichts ausrichten konnte, selbst wenn er beide Hände freibekäme. Er überlegte fieberhaft und kam endlich zu dem Schluss, dass er vielleicht doch nicht ganz so hilflos war.
Sollte Mandla oder einer seiner Kumpane nahe genug an ihn herankommen, dass er sie packen konnte, hätte er unter Umständen eine Chance, egal, ob seine Beine frei waren oder nicht. Die Augen könnte er einem Angreifer eindrücken, vielleicht die Nase brechen. Oder abbeißen. Oder dem Kerl eins in die Fresse hauen und ihm die Nase ins Gehirn prügeln.
Er dachte in Worten, natürlich, aber als daraus in seinen Gedanken Bilder wurden, hasste er Mandla mit jeder Faser seines Körpers dafür, dass der ihn zwang, diese Fertigkeiten wieder zu aktivieren, nachdem er es geschafft hatte, sie zwei Jahrzehnte lang zu vergessen.
Aber immer noch besser, als wenn er diese Fertigkeiten nicht zur Verfügung hätte oder womöglich ein Weichei mit einem Berg von Skrupeln wäre, das nicht den Mut hätte, sich zu wehren. Der Gedanke zumindest tröstete ihn.
Mandla baute sich vor ihm auf, so nahe, dass Marcus, durch seine Bauchlage behindert, ihm nicht in die Augen sehen konnte, sondern nur dessen schlammverschmierte Buschstiefel vor der Nase hatte. Sekunden später traf einer der Stiefel ihn in der Seite, der Schmerz überschwemmte seinen Körper, und ohne dass er sich bremsen konnte, platzte ihm der Kragen.
»Bist du komplett verrückt geworden, du kranker Mistkerl?«, schrie er ihn an. »Glaubst du, du kommst damit davon? Ich bin Tourist, du Idiot, ganze Hundertschaften der Polizei suchen nach mir, darauf kannst du dich verlassen!« Ein weiterer Tritt trieb ihm den Atem aus dem Leib, und er musste erst einmal nach Luft schnappen.
Mandla lachte. Laut, amüsiert und voller Spott. Er ging vor Marcus in die Knie. »He, ngulube mhlope Bayede!«
Sei gegrüßt, weißes Schwein, übersetzte Marcus für sich und war froh, dass er die Sprache noch nicht verlernt hatte, gab sich jedoch alle Mühe, das nicht zu zeigen.
Ihre Blicke verhakten sich. Mandlas Augen waren undurchsichtig wie schwarz lackierte Steine, sein Blick schien sich geradewegs in sein Gehirn zu bohren. Marcus starrte wie gebannt in diese Augen und fand kein Fünkchen Gnade, kein Vergeben. Das Schweigen zwischen ihnen war eine unüberwindliche Mauer aus Hass.
Eine Ewigkeit dauerte dieses lautlose Duell an. Dann, überraschend, grinste der Zulu. »Niemand sucht dich, weißes Schwein«, gluckste er auf Zulu. »Die Polizisten sind hungrig, sie brauchen Geld für ihre Familien. Ich habe Geld, und ich habe dich.« Ohne Vorwarnung verzerrten sich seine Züge. »Grillparty«, flüsterte er rau auf Englisch.
Marcus wurde schlagartig kalt, seine Nackenhaare stellten sich auf. Aber Angst würde nur seine Sinne trüben und seine Reaktionsschnelligkeit lähmen. Das durfte er nicht zulassen. Am meisten beunruhigte ihn, dass Mandla offensichtlich die Polizei bestochen hatte. Nichts Ungewöhnliches in diesem Land. Was man haben wollte, musste man kaufen, und derjenige, der am meisten zahlte, bekam, was er forderte. So war das. Und glaubte man den Medienberichten, war hier so gut wie jeder käuflich, auch die Polizei. Sollte Mandla das getan haben, hieß es, dass die Ordnungshüter einen weiten Bogen um diese Gegend machen würden. Ordnungshüter! Fast hätte er losgelacht. Welch ein amüsanter Euphemismus.
»He, Jimmy«, brüllte Mandla auf Zulu und stand auf. »Mehr Holz,
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