Nachtsafari (German Edition)
Bett, Sarah bewacht ihn mit dem Nudelholz im Anschlag«, berichtete er und grinste immer noch.
»Glaub ich nicht«, bemerkte Jill trocken. »Wie ich Sarah kenne, hält sie ihn mit dem Gewehr in Schach.«
»Sarah?« Silke sah sie erstaunt an. »Tatsächlich? Sie wirkte so … gemütlich. Wie eine gemütliche, liebenswerte Großmutter.«
Jill lachte lauthals. »Sarah? O ja, das ist sie. Das Abbild einer liebenswerten Großmutter. Unter anderem. Sie ist eine formidable Person, sehr intelligent, obwohl sie das gern versteckt.«
Silke sah sie verständnislos an. »Aber … aber wieso … ein Gewehr? Was hat sie denn früher gemacht?«
»Früher? Hausmädchen bei Weißen, was sonst. Andere Jobs gab es für schwarze Frauen kaum. Obwohl sie Glück gehabt hat. Jahrelang hat sie für eine Deutsche gearbeitet, die sie heute als ihre Freundin bezeichnet. Aber ebenso wie Vilikazi war sie im Untergrund für den ANC aktiv. Mit der Waffe, denke ich. Näher habe ich noch nicht nachgefragt.« Sie lachte wieder. »Eigentlich will ich es auch nicht so genau wissen, außerdem bezweifle ich, dass ich eine ehrliche Antwort von ihr bekommen würde.«
»Ach, du liebe Güte!«, sagte Silke und versuchte die Bilder der beiden Sarahs deckungsgleich übereinanderzulegen. »Was für ein Land!«
Was für Menschen.
Welch ein Unterschied zu meinem eigenen Leben, wollte sie hinzufügen, aber der Wind trug einen Trompetenstoß vom Wasserloch zu ihnen herüber. Sie fuhr hoch und fiel wie ein Stein zurück mitten zwischen die mörderische Elefantenherde. Ihr brach der Schweiß aus, im Nu war sie durchnässt. Sie sah Mandla vor sich, den unheimlichen Ranger, Scott, der sich die Hand abgehackt hatte. Greta Carlsson in ihrem freiwilligen Gefängnis.
Verwirrt starrte sie vor sich hin, fand sich momentan nicht zurecht. War sie wirklich erst Mittwoch durch das verschneite München gestapft, wo die größte Gefahr war, dass ihr nasse Füße und eine Erkältung drohten?
»Bist du okay?«, hörte sie Jill besorgt fragen. »Du bist ja weiß wie die Wand geworden.«
Silke kehrte mit einem Ruck in die Wirklichkeit zurück. Um einen Moment Zeit zu gewinnen, ehe sie antwortete, strich sie sich langsam über die Stirn. »Ja, alles in Ordnung«, sagte sie schließlich. »Ich musste nur an den Überfall der Elefanten denken und daran, was danach passierte. Wie macht ihr das alles?«
»Was meinst du?«
Silke vollführte einen Halbkreis mit der Hand. »Das alles hier. Die elektrischen Zäune, Großmütter, die mit einem Gewehr umgehen wie andere mit dem Kochlöffel. Die ständige Bedrohung … Männer mit Hackbeilen … wilde Tiere …«
Jill lächelte. »Ach, damit werde ich fertig, aber weißt du, was mir Angst einjagt?«
»Eine randalierende Elefantenherde?«
Nils grinste. »Tut sie nicht, kann ich dir versichern. Aus eigener Erfahrung. Im Gegenteil, sie redet mit den Kolossen.«
»Na ja, ganz so ist es ja nicht«, wehrte Jill ab. »Aber wovor ich einen Horror habe, ist die Geschwindigkeit, mit der ihr über eure Autobahnen rast. Schon von meiner ersten Fahrt dort habe ich ein Trauma fürs Leben davongetragen. Entsetzlich. Mit mehr als zweihundert Sachen sind die an uns vorbeigejagt.« Sie verdrehte theatralisch die Augen. »Autos meine ich! Keine Flugzeuge.«
Silke musste lachen und war dankbar, wenigstens für ein paar Minuten von der harschen Wirklichkeit abgelenkt worden zu sein. »Das ist Gewöhnungssache und nichts im Vergleich zu dem, womit ihr hier täglich konfrontiert werdet. Ich bewundere euch. Ich hätte das Land längst verlassen.«
Mit dem unangenehmen Gefühl völliger Unzulänglichkeit schaute sie auf die Jahre ihres Lebens zurück. Bis auf ihre wilde Zeit mit Tony, was hatte sie schon erlebt? Was hatte sie zustande gebracht? Was wäre von ihr geblieben, wenn sie unter den Tritten der Elefanten gestorben wäre?
Unversehens hatte sie den scharfen Geruch von Desinfektionsmitteln in der Nase, war zurück in London, sah die drei wei ßen Tabletten im kalten Schein der Laborlampe vor sich. Für Sekunden taumelte sie am Rand eines pechschwarzen Nichts, aber Jills Stimme riss sie zurück. Nur das innere Zittern blieb. Es würde sie wohl bis zum Ende ihres Lebens begleiten.
»Ich bin hier geboren. Jeder Quadratzentimeter hier trägt die Fußabdrücke meiner Vorfahren. Sie sind hier begraben …« Jill spielte versunken mit einem Kugelschreiber. »Ich glaube, ich würde innerlich verbluten, wenn ich mein Land verlassen müsste«, fuhr sie
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