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Nachtsafari (German Edition)

Nachtsafari (German Edition)

Titel: Nachtsafari (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Gercke
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große deutsche Tageszeitung über den Minenstreik schreiben. Sie warf den Zettel auf den Schreibtisch und verließ ihr Büro, vergaß jedoch in ihrer Eile, die Tür zu schließen. Durch den Luftzug segelte der Zettel auf den Boden, was sie aber nicht bemerkte.
    In seinem Arbeitszimmer war ihr Mann nicht, und sein Funkgerät lag auf seinem Schreibtisch, das hieß, dass er Inqaba verlassen hatte. Mit einem ärgerlichen Ausruf zog sie ihr Mobiltelefon hervor und kehrte in ihr Zimmer zurück.
    Marcus hätte vor Wonne schreien können, als er das mächtige Rauschen des herannahenden Regensturms vernahm. Wasser und Feuer waren Antagonisten. Mit innerer Aufregung beobachtete er, wie sich der Himmel verdunkelte.
    Die ersten Tropfen fielen, dann öffnete sich der Himmel, Was sermassen strömten herunter, liefen in reißenden Bächen über den harten Boden, spülten rotbraune Schlammlawinen über das trockene Holz des Scheiterhaufens, durchtränkten sogar den dicken Ast, den Hellfire herangeschleppt hatte. Hoffnung flutete heiß durch seine Adern. Das Holz war viel zu nass, damit würde Mandla so schnell kein Feuer machen können.
    Es sei denn, Mandla kippte literweise Benzin darüber.
    Der Gedanke schoss ihm durch den Kopf, bevor er sich dagegen wappnen konnte. Nervös überlegte er, wie viel Benzin Mandla für einen Holzstoß dieser Größe brauchen würde. Zwanzig Liter? Dreißig Liter? Oder weniger? Es war ein lockerer Haufen, Mandla hatte nur ein paar wirklich dicke Äste gefunden, die genügend Hitze entwickeln konnten, um das übrige Holz in Brand zu setzen. Durch den Regenschleier taxierte er die Ausmaße des Haufens. Drei bis vier Meter lang, zwei Meter hoch. Ungefähr.
    Mindestens zwanzig Liter würde Mandla benötigen, da war er sich sicher, und die musste er erst einmal haben und heranschleppen. Wenn er nicht hier in den zu erwartenden Schlammmassen ertrank, waren seine Überlebenschancen gerade deutlich gestiegen.
    Mit einem tiefen Seufzer öffnete er weit den Mund und fing die dicken Regentropfen auf. Das köstliche Nass rann seine ausgedörrte Kehle hinunter und war süßer als alles, was er je in seinem Leben geschmeckt hatte.
    Mit neu gewonnener Kraft widmete er sich wieder seinen Fesseln, riss mit einem Ruck seine Hände auseinander. Obwohl das Seil ihm in die Handgelenke schnitt, probierte er es weiter. Bis er es nicht mehr aushalten konnte, dann ließ er locker. Er machte seine rechte Hand schmal, faltete den Daumen und kleinen Finger unter der Handfläche, biss die Zähne zusammen und zog. Ihm schossen die Tränen in die Augen, nicht weil er sich dabei eine tiefe Fleischwunde am Handgelenk eingehandelt hatte, sondern weil er die Hand tatsächlich freibekam.
    Unauffällig tastete er mit seinem Blick die Umgebung ab, um sicherzugehen, dass er unbeobachtet war. Dann rollte er so weit zur Seite, dass er den Arm unter seinem Körper hervorziehen konnte. Im gleichen Augenblick bemerkte er am Rand seines Blickfeldes einen diffusen Schatten hinter dem Wasservorhang. Der Schatten nahm Konturen an, und bevor er seinen Arm wieder in die ursprüngliche Position bringen konnte, schlängelte sich aus dem einheitlichen Silbergrau das merkwürdige, haarlose Wesen heran.
    Es war ein Mann, das war eindeutig, und Marcus war nach und nach klar geworden, dass seine entsetzlichen Narben von Verbrennungen herrühren mussten. Der Mann musste irgendwann mal in ein Feuer gefallen oder geworfen worden sein. Und praktisch bei lebendigem Leibe geröstet. Die schrecklichen Augen blieben an seinem befreiten Arm hängen. Lange, ehe sie langsam an ihm hochkrochen und sich in seine bohrten. Schweigend.
    »Hi«, sagte Marcus impulsiv, fragte sich jedoch sogleich, welchen Sinn das haben sollte. Von dem Mann war keinerlei Mitleid zu erwarten. Unsicher, was er jetzt unternehmen würde, blinzelte er ihn an. Vor seiner Nase hämmerte der Regen auf die Erde, und mit jedem Tropfen spritzte ihm die rostbraune Brühe in die Augen.
    Die vernarbten Lippenwülste zogen sich auseinander und entblößten überraschend weiße Zähne. Marcus begriff erst nach ein paar Sekunden, dass der Mann lächelte. Er lächelte? Marcus sah ihn ungläubig an. Tatsächlich, der Mann lächelte! Es war grausig anzusehen. Und jetzt stieß er eine Reihe von Grunz- und Zischlauten hervor. Es klang in Marcus’ Ohren wie »hiheitu«. Leise wiederholte er es mehrmals für sich. Hi hei tu. Hi hei tu. Wie heißt du?
    »Marcus«, antwortete er.
    »Acus«, freute sich der Mann.

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