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Nachtsafari (German Edition)

Nachtsafari (German Edition)

Titel: Nachtsafari (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Gercke
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kurz aus. Mit weichen Knien schaffte sie es gerade noch bis zu ihrem Schreibtischstuhl und ließ sich hineinfallen.
    Die Tochter des Hangman? War damit Silke Ingwersen gemeint? Abwesend schrieb sie den Namen unter die Zeilen. Dass Silke nicht die Tochter von Henri Bonamour war, noch nicht einmal seine Schwiegertochter, war im Prinzip eine unwichtige Klei nigkeit. Allein von der Vorstellung, welche Wirkung die Neuigkeit haben würde, dass die Tochter des Hangman Unterschlupf auf Inqaba gefunden hatte, wurde ihr schlecht. Niemand würde hinterfragen, ob diese Nachricht wahr war. Der Name des Hangman würde genügen. Seine Erwähnung würde einen Tumult auslösen.
    Mit einem Anflug von unkontrollierbarer Verzweiflung stützte sie den Kopf in die Hände. Mit genügend Bösartigkeit würde man Nils und ihr vorwerfen können, den Sohn des Hangman zu schützen – und noch schlimmer – zu wissen, wo sich Henri Bonamour aufhielt. Der Mann wurde mit Sicherheit, wie andere Verbrecher aus der Apartheidzeit, weltweit von der südafrikanischen Justiz gesucht. Und vermutlich von gewissen geheimen Organisationen auch, die allerdings wohl nicht vorhatten, ihn vor Gericht zu stellen. Ihr lief es kalt den Rücken hinunter.
    Die nächste Verhandlung vor dem Land Claims Court fand in einigen Wochen statt. Wie würde es sich auswirken, wenn die Anwälte der Gegenseite den Namen des Hangman in den Ring werfen und dann genüsslich darauf hinweisen würden, dass sich dessen Tochter auf Inqaba aufhielt?
    Relevant war es sicher nicht, aber die emotionale Sprengkraft würde enorm sein. Der Hauch eines Verdachts allein würde genügen, die umliegenden Clans gegen sie und Nils aufzubringen. In allerkürzester Zeit würde sich dieser Verdacht zu einem Monster aufblähen, das ihre Familie verschlingen könnte. Ihre Augen streiften die Mitteilung.
    Pack das Geld in eine Tüte, stell sie an die Wurzel vom Ubabamkhulu.
    »Verdammt«, fluchte sie leise und zwirbelte den Zettel in der Hand. Ubabamkhulu hieß eigentlich Großvater, aber so wurde ein uralter Natal-Mahagonibaum, der in der Mitte des Dorfs der Dlaminis stand, bezeichnet. Es war der Indababaum des Clans. Unter den ausladenden Zweigen seiner tiefgrün glänzenden Blätterkrone fand das tägliche Leben der Dorfbewohner statt. Hier war die lokale Klatschbörse, hier wurden Gerüchte geboren. Schneller als Gestank zogen sie in die Täler Zululands, durch die Ritzen der Hütten, wurden ausgeschmückt und aufgebauscht, wurden immer bösartiger, machten die Menschen verrückt, bis der Erste eine Waffe hob. Die Fehden der Clans untereinander reichten Jahrzehnte zurück, forderten ständig Dutzende von Opfern.
    Ihre Nackenmuskeln spannten sich krampfartig an, ein schneidender Schmerz schoss ihr bis in die Schultern. Sie stöhnte mit geschlossenem Mund. Diesen Schmerz kannte sie. Der fünfte Halswirbel von oben war blockiert. Schon wieder. Vor zwei Wochen erst hatte sie die letzte Sitzung bei ihrem Physiotherapeuten gehabt, dem es nach Monaten endlich gelungen war, diese Blockade zu lösen. Inzwischen hatte er seine Praxis nach Umhlanga Ridge verlegt, vermutlich, weil es dort mehr gut zahlende Patienten für ihn gab, und Umhlanga war gute drei Autostunden entfernt.
    Vielleicht sollte ich Nellys Sangoma konsultieren, dachte sie. Laut Nelly war er phänomenal und hatte für alle Leiden eine Kur. Ob seelisch oder körperlich. Flüchtig überlegte sie, ob sie dann wie ihre Nanny ein Huhn opfern müsste. Vielleicht sogar eine Ziege? Weil sie weiß war? Der Schmerz flackerte wieder auf, sie fischte eine Packung Ibuprofen aus der Schreibtischschublade und spülte eine Tablette mit dem abgestandenen Rest ihres Kaffees herunter. Das musste vorläufig genügen. Sie steckte den Rest der Packung in die Tasche ihrer Shorts, falls die erste Dosis nicht ausreichen würde.
    Mit leerem Blick schob sie den Zettel hin und her. Der Schrift nach war der Erpresser ein einfacher Mann, mit Sicherheit wohl ein Zulu, ungelernter Landarbeiter vielleicht. Es war zu vermuten, dass er zu Jonas’ Familie gehörte. Warum sonst hätte er den Indababaum als Übergabeort gewählt?
    Impulsiv entschied sie, Jonas vorerst nicht danach zu fragen. Das Wichtigste war, einen Weg zur Schadensbegrenzung zu finden, doch dazu brauchte sie Nils, der für derartige Situationen einen gesunden Instinkt besaß. Sie sah auf die Uhr. Um diese Zeit sollte er in seinem Arbeitszimmer sein, das schräg gegenüber ihrem lag, und an der Reportage für eine

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