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Nachtsafari (German Edition)

Nachtsafari (German Edition)

Titel: Nachtsafari (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Gercke
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Sangwesi wurde nachdenklich. Das hieß, dass der Hangman Selbstmord begangen hatte. Freiwillig?
    »Freiwillig?«, fragte er.
    »Natürlich«, entrüstete sich sein Genosse in Pietermaritzburg, aber der sarkastische Unterton war unüberhörbar. »Das Problem hat sich erledigt.«
    »Sein Sohn ist noch nicht gefunden worden«, gab Sangwesi zu bedenken.
    »Natürlich setzen wir alles daran, den Mann zu finden«, war die salbungsvolle Antwort.
    »Natürlich«, sagte Captain Sangwesi zufrieden.
    »Bis Sonnabend dann«, verabschiedete sich der Mann mit den vielen Orden.
    Captain Sangwesi lehnte sich in seinem Drehstuhl zurück und befahl Sergeant Khumalo, ihm eine Tasse Kaffee zu bringen. Schwarz, mit viel Zucker.

26
    M arcus’ Blick klebte auf dem Reifen, der dicht vor seinem Gesicht lag. Sein Puls hämmerte ihm in den Ohren. Necklacing. Hinrichtung mit dem »Halsband«. So nannte man es in Südafrika, wenn ein mit Benzin gefüllter Autoreifen einem Menschen bei lebendigem Leib um den Hals gelegt und angezündet wurde. In den Achtziger- und frühen Neunzigerjahren wurden Dutzende Menschen so getötet. Weil sie vermeintliche Polizeispitzel waren oder der Hexerei verdächtigt wurden. Oder weil irgendjemand denjenigen aus dem Weg haben wollte. Neuerdings war diese grausige Methode in den Townships wieder aufgelebt, und die Anzahl der Fälle stieg sprunghaft. Er hatte nicht die Absicht, zu dieser Statistik beizutragen.
    Heimlich bewegte er im Rücken Hände und Füße, spannte die Muskeln an, dehnte sie, bis sie sich wieder geschmeidig anfühlten, verlor dabei weder Mandla noch diesen irren Kerl mit der Zöpfchenfrisur aus den Augen. Gleichzeitig sah er sich nach etwas um, was er außer seinen bloßen Händen als Waffe benutzen konnte. Einen größeren Stein, einen dicken Ast, ein Stück Blech. Irgendetwas. Selbst eine Plastiktüte wäre nicht schlecht. Man konnte einen Strick daraus drehen oder sie jemandem über den Kopf stülpen.
    Aber so weit sein Blickfeld reichte, erstreckte sich nur lehmiger Matsch. Weich, nass, nichts, womit man einem Angreifer effektiv eins überziehen konnte. Ihm blieben nur seine Hände. Er konnte versuchen, Mandla damit die Augen in den Kopf zu drücken. Wenn er nahe genug an ihn herankam.
    Seine Augen glitten zu dem hochgewachsenen Zulu. Der lehnte bewegungslos, die Arme vor der Brust verschränkt, an der Hütte und beobachtete ihn wie ein Geier, der Aas erspäht hat. Ihre Augen trafen sich, und er war sich sicher, dass Mandla erkannt hatte, was in ihm vorging, denn er verzog seinen Mund zu einem gehässigen Grinsen. Marcus unterdrückte den Impuls, aufzuspringen und ihm an die Gurgel zu gehen. Das Gewehr des Zulus hing an einem Haken griffbereit an der Hüttenwand, und der Knauf seiner Pistole ragte aus seinem Gürtel. Ihm war klar, dass bei einem Buschkämpfer wie Mandla die Reaktionsschnelligkeit im Nanosekundenbereich lag. Er wäre tot, bevor er den Ranger erreicht hatte. Der musste erst näher an ihn herankommen, bevor er eine Chance hatte, ihn zu erwischen.
    In diesem Moment jedoch verschwand Mandla in die Hütte und trat die Tür hinter sich zu. Marcus’ Adrenalinspiegel stieg. Das bedeutete, dass er noch eine Gnadenfrist hatte, solange er Zöpfchenfrisur, der sich noch immer im Hintergrund herumtrieb, austricksen konnte. Also galt es zu warten. Sein Blick wanderte weiter.
    Thoko war nicht mehr zu sehen. Wie ein Schatten war er bei Mandlas Ankunft blitzschnell in Richtung Hütte gehuscht und lautlos verschwunden. Dieses jämmerliche Bündel Mensch mit dem großen Herzen, dem er, wenn er tatsächlich einigermaßen unbeschadet davonkommen sollte, zu einem nicht geringen Teil sein Leben zu verdanken haben würde. Er schwor sich, Thoko zu einem ordentlichen Arzt zu bringen, einem richtig guten plasti schen Chirurgen, der sich der grauenvollen Verstümmelungen des kleinen Zulus annehmen konnte. Und wenn – falls – er je wieder in sein altes Leben nach München zurückkehren konnte, würde er seinen Vater zur Rede stellen.
    Gott, wie er diesen Mann hasste. Wut schoss in ihm hoch. Der Damm seiner Erinnerungen brach, und alles, was sich aufgestaut hatte, überschwemmte ihn mit schrecklicher Wucht.
    Sein Vater war der Teufel, der Menschen kalt lächelnd in den Tod geschickt hatte. Auf die eine und andere Weise. Er hatte sie nicht nur ins Pretoria Central zur Hinrichtung geschickt, sondern Männern wie Len Pienaar überlassen. Pienaar war Kommandeur einer geheimen Eliteeinheit von

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