Nachtsafari (German Edition)
»Vermutlich bin ich bis dahin schon verkohlt.«
Sie rutschte vom Sitz und stieg aus. Die sengende Hitze prallte in Wellen von der steinharten Erde ab, Sonnenstrahlen stachen wie Nadeln und brachten ihre Augen zum Tränen. Ihre knappen Shorts und das Spaghettiträger-Top boten dem heißen Wind, der ihre Haut im Nu austrocknete, viel Angriffsfläche. Zum ersten Mal verstand sie, warum Wüstenbewohner sich von Kopf bis Fuß in weite Baumwollgewänder hüllten. Sie flüchtete in den nächsten Schatten und sah sich um. Außer einem Reiher, der auf einem Baum saß und sich das weiße Gefieder putzte, und gaukelnden Schmetterlingen in den Blumenbeeten vor dem Restaurant war kein wildes Tier zu sehen, was sie fast ein wenig enttäuschte. Dann entdeckte sie allerdings ein Warnschild, auf dem die Silhouetten von Löwe, Elefant, Leopard, Nashorn und Büffel abgebildet waren. Während sie noch überlegte, was das zu bedeuten hatte, trat Marcus aus dem Gebäude.
»Alles okay«, rief er und steckte seinen Pass wieder ein. »Wir können gleich zum Bungalow fahren. Wir haben ein schönes Chalet bekommen. Direkt am Hang mit Blick übers Gelände.« Er öffnete die Fahrertür und stieg ein.
Silke verbrannte sich prompt Gesäß und Oberschenkel auf dem Sitz, der die ganze Zeit der Sonneneinstrahlung ausgesetzt gewesen war.
Marcus grinste. »Leg dir nächstes Mal ein Handtuch drunter.«
»Klugscheißer«, zischte sie.
Marcus lachte und bog in den schattigen Weg ein, der zu den Bungalows führte. Silke machte ihn auf das Warnschild mit den Tiersilhouetten aufmerksam.
»Weißt du, was das Schild bedeutet? Oder können Tiere hier Schilder lesen? Eintritt für Löwen verboten!« Sie kicherte spöt tisch. »Oder warnt es davor, dass es im Park Raubtiere und so gibt? Das wäre ja wohl offensichtlich in einem Wildreservat, oder?«
Marcus’ Mundwinkel zuckten. »Nein, es warnt davor, dass die hier im Camp herumlaufen könnten.«
»Was?«, schrie sie auf. »Hier im Camp? Aber dieser Rob Adams hat doch gesagt, dass das eingezäunt ist?« Ein Blick auf sein Gesicht machte ihr nur allzu deutlich, dass das offenbar nicht der Fall war.
»Wohl nur nachts. Vermutlich.«
»Das ist nicht dein Ernst … Hier gibt’s doch Löwen, oder? Ist dir klar, dass ich eine Riesenangst vor den Biestern habe? Als Kind war ich mal im Zirkus, der als Highlight eine Raubtierdressur darbot. Der Dompteur ließ Tiger und Löwen Männchen machen, was ich übrigens schrecklich unwürdig fand. Einer der Löwen empfand das wohl auch so und hat den Dompteur durch die Ma nege gejagt. Erst in letzter Sekunde schaffte es der Mann, am Gitter hochzuklettern, und das genau vor meinem Sitz. Der Löwe sprang brüllend dagegen, schlug immer wieder mit den Pranken nach dem Dompteur und verfehlte ihn nur um ein paar Zentimeter. Ich konnte ihm direkt in den Rachen sehen – ich konnte sogar seinen stinkigen Atem riechen. Wenn ich nur daran zurückdenke, fange ich schon zu zittern an. Seitdem habe ich zu Löwen ein gespaltenes Verhältnis.«
»Und wie hast du dir das in einem Wildreservat vorgestellt? Immerhin sind Hluhluwe und Umfolozi zusammen über neunhundertsechzig Quadratkilometer groß, da gibt es viele Löwen. Und Leoparden und so weiter …«
»Hast du gelesen, nehme ich an«, unterbrach sie ihn spitz. »Hältst du mich für dumm? Natürlich ist mir klar, dass die Tiere frei im Gelände herumlaufen, aber ich hatte es als selbstverständlich angenommen, dass die Camps mit Zäunen gesichert sind. Selbst normale Häuser sind in diesem Land doch mit meterhohen Mauern und elektrischen Zäunen gegen Menschen geschützt, und Raubtiere lassen sie so hereinspazieren? Das ist doch unverantwortlich. Ich möchte mal wissen, wie viele Touristen hier schon gefressen worden sind.«
»Na, du wolltest doch ein Abenteuer erleben.« Marcus’ Grinsen wurde breiter. »Ich stell mir nur gerade dein Gesicht vor, wenn du morgen die Tür vom Chalet aufmachst, und draußen steht ein Löwe.« Seine Schultern begannen zu zucken, er wehrte sich heroisch gegen den Lachanfall, aber schließlich überwältigte es ihn. Er krümmte sich, die Tränen liefen ihm herunter, und dann bekam er auch noch einen Schluckauf.
»Geschieht dir ganz recht«, rief sie erbost. »Was ist daran so wahnsinnig komisch?«
»Du«, antwortete er immer noch prustend.
Sie knuffte ihn. »Na, ist ja toll, wenn ich zu deiner Belustigung beitrage.« Mit leicht verkniffenem Ausdruck suchte sie verstohlen das flirrende Grün,
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