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Nachtsafari (German Edition)

Nachtsafari (German Edition)

Titel: Nachtsafari (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Gercke
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rief sie aus, war so überrascht, dass es ihr für einen Augenblick die Sprache verschlug. »Das ist ja ein Ding«, brachte sie schließlich hervor. »Daher kam mir der Name so bekannt vor.«
    »Dann lies hier weiter.« Der Zeigefinger glitt ein paar Zentimeter tiefer. »Sein Sohn heißt Marcus.«
    Jill beugte sich wieder vor. »Das kann doch kein Zufall sein!«, rief sie erregt.
    Sie stieß sich vom Tisch ab und wanderte im Raum umher, grub tief in ihrem Gedächtnis nach längst verschütteten Erinnerungen. »Die Familie des Henkers wohnte in Durban North, in einem Haus, das einer Festung glich, das war allgemein bekannt«, begann sie. »Sein Sohn Marcus ist mit meinem Bruder im Internat gewesen, allerdings ein paar Klassen unter ihm. Und irgendwann – ich glaube, es war einundneunzig oder zweiundneunzig oder um den Dreh – ist der Hangman verschwunden. Die Zeitungen waren damals voll davon. Zu der Zeit funktionierte die staatliche Pressezensur schon nicht mehr vollständig, da sickerte so etwas manchmal durch. Ins Ausland soll er sich abgesetzt haben und bei irgendeiner befreundeten Regierung untergekrochen sein.«
    »Chile, oder?«, warf Dirk ein. »Ich meine, so etwas zu erinnern.«
    »Es wurde auf jeden Fall allgemein angenommen, dass ihn ein südamerikanisches Land aufgenommen hatte. Mit Frau und Sohn und vermutlich einem Haufen Geld. Die Familie besaß unter anderem große Ländereien, Minen und Fabriken in Natal. Vielleicht haben sie die zu Geld gemacht, obwohl der Hangman zu jener Zeit wohl nur noch schwer Käufer finden konnte. Kein Mensch gab damals auch nur einen Pfifferling für die Zukunft unseres Landes, unsere Währung war nichts wert.«
    Sie beugte sich noch einmal über den Computer, ließ den Cursor hoch zum Bild von Henri Bonamour laufen und starrte es an. »Können wir das vergrößern? Ich glaube zwar, dass es der Henri Bonamour ist, aber ich will mir wirklich sicher sein.«
    Nils klickte auf das Bild. Die Webseite baute sich schnell auf, das Foto war etwas körnig, aber der abgebildete Mann ziemlich gut zu erkennen.
    »Das ist er hundertprozentig. Hangman Bonamour … man glaubt es nicht.« Aus den Augenwinkeln nahm sie eine Bewegung an der Tür wahr und richtete sich auf. Jonas Dlamini stand im Rahmen. »Jonas, was gibt’s?«, fragte sie ungeduldig.
    Jonas zuckte, als hätte sie ihn überrascht. »Äh, ich müsste mal für eine Stunde weg. Geht das in Ordnung?« Sein Blick flackerte hinüber zu dem Monitor, der noch immer das Bild von Henri Bonamour zeigte, und zurück zu Jill. »Kannst du mich vertreten?«
    Jill blickte auf ihre Armbanduhr. »Ungern. Doch wenn du das wirklich nicht auf morgen verschieben kannst – meinetwegen, aber bitte sei spätestens in einer Stunde wieder da.«
    »Yebo.« Jonas vollführte eine militärisch zackige Drehung und verschwand.
    »Wo waren wir gerade? Ach ja, das ist der Hangman, und der Marcus von vorgestern sieht ihm wirklich ähnlich. Schaut mal genau hin.«
    Nils und Dirk lehnten sich gleichzeitig vor und unterzogen das Foto einer kritischen Musterung.
    »Mund, Gesichtsform und Statur stimmen«, sagte Nils nach eingehender Prüfung. »Auch die Haltung, aber die Augen von diesem Marcus sind irgendwie anders.«
    »Lebendiger«, warf Jill ein. »Menschlicher. Der Hangman hat Schlangenaugen. Starr, ausdruckslos … Ich habe ihn einmal auf einer Sportveranstaltung im Internat gesehen.« Sie schüttelte sich. »Ein fürchterlicher Mensch. Er strahlte reine Bösartigkeit aus.« Sie blätterte durch die Datei und fand ein weiteres Foto. »Da, seht, ein Bild von seinem Sohn. Das könnte unser Marcus sein, oder?«
    Es war ein Schwarz-Weiß-Foto und zeigte einen sehr jungen Mann in Buschkleidung. Arme vor der Brust verschränkt, kantiges Gesicht, die Augen unter dem militärisch kurzen Haar zurückhaltend, abwartend.
    Stumm studierten die beiden Männer das grobkörnige Bild. »Ja«, sagte Dirk schließlich. »Das ist durchaus möglich. Was meinst du?«, wandte er sich an seinen Freund.
    »Denke ich auch«, antwortete der. »Aber wie gesagt, die Ähnlichkeit kann auch zufällig sein.«
    »Ich frage mich nur, was dahintersteckt.« Jill fuhr sich mit einer nervösen Bewegung durchs Haar. »Der Hanging Judge ist nicht vergessen, und wenn ich daran denke, was er getan hat …«
    »Und was hat er getan?«, fragte Dirk. »Ich meine, der Name spricht ja für sich. Hanging Judge. Der Richter, der Todesurteile austeilte.«
    »Und zwar am Fließband«, erklärte Jill.

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