Nachtschicht
wieder seine grüne Drillichjacke, die ihm mindestens zwei Nummern zu groß zu sein schien. Einen Bügel der Hornbrille hatte er mit Isolierband zusammengeflickt. Seine Jeans sahen neu und steif aus, nicht verwaschen und getragen, wie es jetzt modern war. An Tony hatten auch neue Jeans nie so steif ausgesehen. Dazu trug Ed eine grüne und eine braune Socke.
Aber sie wußte, daß sie ihn liebte.
»Warum hast du dich nicht schon früher gemeldet?« fragte sie, als sie auf ihn zuging.
Er schob die Hände in die Jackentaschen und grinste schüchtern. »Ich wollte dir ein bißchen Zeit geben, um dich umzusehend Du solltest ein paar andere Männer kennenlernen. Um herauszufinden, was du wirklich willst.«
»Ich glaube, ich weiß, was ich will.«
»Das ist schön. Hast du Lust, ins Kino zu gehen?«
»Mir ist alles recht. Von mir aus können wir unternehmen, was du willst.«
Mit der Zeit fiel ihr auf, daß sie noch nie einen Menschen, egal ob Mann oder Frau, gekannt hatte, der ihre Stimmungen und Wünsche so vollkommen und ohne Worte zu verstehen schien.
Sie hatten in allem den gleichen Geschmack. Tony hatte brutale Filme im Stile des Paten gemocht, Ed bevorzugte lustige Filme oder gewaltlose Problemstücke.
Eines Abends, als sie sich deprimiert fühlte, ging er mit ihr in den Zirkus, und sie amüsierten sich, köstlich. Wenn sie sich zum gemeinsamen Lernen verabredeten, wurde auch tatsächlich studiert, es war kein Vorwand, um in der dritten Etage des Studentenhauses mit ihr herumzuschmusen. Er ging mit ihr tanzen und schien die altmodischen Tänze, die sie so liebte, besonders gut zu beherrschen. Auf der Jahresfeier der Universität gewannen sie auf einem Nostalgieball unter dem Motto ›Die fünfziger Jahre‹ sogar einen Preis im Stroll-Tanzen.
Doch am meisten gefiel ihr, daß er zu spüren schien, wann sie zu Zärtlichkeiten aufgelegt war. Er bedrängte sie nicht, und er forderte nichts von ihr. Bei ihm hatte sie niemals das Gefühl, wie es ihr schon bei anderen jungen Männern ergangen war, daß sie den Sex nach einem ganz bestimmten Schema planten.
Beim ersten Treffen begann es mit einem Gutenachtkuß, und das zehnte Treffen endete damit, daß man in einer von einem Freund geborgten Wohnung miteinander schlief. Ed wohnte allein in einem Apartment im dritten Stock in der Mill Street.
Sie gingen oft zu ihm, doch Elizabeth hatte nie das Gefühl, die Lasterhöhle eines Nachwuchscasanovas zu betreten. Er versuchte nie, sich ihr zu nähern. Er schien tatsächlich immer nur das zu wollen, was sie wollte und wann sie es wollte. Und ihre Freundschaft entwickelte sich.
Als der Vorlesungsbetrieb nach den Semesterferien wieder begann, wirkte Alice irgendwie bedrückt. An dem Nachmittag, als Elizabeth darauf wartete, daß Ed sie abholte - sie waren zum Essen verabredet -, bemerkte sie mehrmals, daß Alice stimrunzelnd einen großen braunen Umschlag anstarrte, der auf ihrem Schreibtisch lag.
Einmal lag es Elizabeth auf der Zunge, sie zu fragen, was es für ein Umschlag sei, aber dann tat sie es doch nicht. Vermutlich ging es wieder um ein Praktikum.
Es schneite heftig, als Ed sie zum Studentenwohnheim zurückbrachte.
»Sehen wir uns morgen?« fragte er. »Bei mir?«
»Klar. Ich mache uns Popcorn.«
»Prima«, freute er sich und küßte sie. »Ich liebe dich, Beth.«
»Ich liebe dich auch.«
»Möchtest du morgen bei mir schlafen?« fragte er vollkommen natürlich.
»Ja, Ed, gern.« Sie sah ihm in die Augen. »Wenn es dein Wunsch ist.«
»Schön«, entgegnete er ruhig. »Schlaf gut, mein Schatz.«
»Du auch.«
Sie hatte erwartet, daß Alice schon schlief, und trat leise ins Zimmer, doch Alice war noch auf und saß an ihrem Schreibtisch.
»Alice, fehlt dir was?«
»Ich muß mit dir sprechen, Liz. Über Ed.«
»Und was hast du mir zu sagen?«
Widerstrebend äußerte Alice: »Wenn wir miteinander gesprochen haben, sind wir wahrscheinlich keine Freundinnen mehr. Ich setze eine Menge aufs Spiel, deshalb möchte ich, daß du mir jetzt gut zuhörst.«
»Dann sag doch lieber nichts.«
»Ich kann nicht schweigen.«
Elizabeths anfängliche Neugier schlug in Wut um. »Hast du Ed nachspioniert?«
Alice warf ihr lediglich einen Blick zu.
»Warst du neidisch auf uns?«
»Nein. Wenn ich auf dich und deine vielen Verehrer neidisch wäre, wäre ich schon vor zwei Jahren hier ausgezogen.«
Verstört sah Elizabeth sie an. Sie wußte, daß Alice nicht log.
Und plötzlich bekam sie Angst.
»Zwei Dinge an Ed Hamner
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