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Nachtschicht

Nachtschicht

Titel: Nachtschicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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und ich gebe zu, daß der Klang ein wenig an die Kolonialzeit erinnerte, aber ich ziehe das gute alte ›Tookey’s Bar‹ vor. Es ist eine Sache, im Sommer hochherrschaftlich zu tun, wenn der Staat voll von Touristen ist, aber eine andere, im Winter durchzuhalten, wenn man mit seinen Nachbarn zurechtkommen muß. Und es hatte eine ganze Reihe von Winternächten gegeben, so wie diese, in denen Tookey und ich die ganze Zeit allein verbracht haben und Scotch mit Wasser tranken, oder nur ein paar Bier. Meine Victoria starb dreiundsiebzig, und Tookey’s war ein Ort, wohin man gehen konnte, in dem genügend Stimmen zu hören waren, um das beharrliche Ticken der Totenuhr zu übertönen - selbst wenn nur Tookey und ich da waren, das war schon genug. Ich hätte nicht so darüber gedacht, wenn es ›Tookey’s Rast‹ geheißen hätte. Es klingt verrückt, aber so ist es.
    Wir brachten diesen Burschen zum Feuer, wo er schlimmer zu zittern begann als vorher. Er drückte seine Knie an sich und klapperte mit den Zähnen, während ihm ein paar Tropfen klaren Schleims aus der Nase rannen. Ich denke, er begriff jetzt erst, daß ihn eine weitere Viertelstunde oder so da draußen wahrscheinlich umgebracht hätte. Es ist nicht der Schnee, sondern die Kälte des Windes. Sie raubt einem jegliche Körperwärme.
    »Wo seid ihr von der Straße abgekommen?« fragte Tookey ihn.
    »Sechs M-Meilen s-südlich von h-hier«, sagte er.
    Tookey und ich sahen uns an, und plötzlich wurde mir kalt.
    Am ganzen Körper kalt.
    »Bist du sicher?« entgegnete Tookey. »Du bist sechs Meilen durch den Schnee gelaufen?«
    Er nickte. »Ich habe auf den Kilometerzähler geachtet, als wir durch die Stadt kamen. Ich bin der Beschreibung gefolgt … wir wollten die Schwester meiner Frau besuchen … in Cumberland … bin noch nie dagewesen … wir sind aus New Jersey …«
    New Jersey. Wenn es Menschen gibt, die noch blöder sind als die aus New York, dann sind es die Burschen aus New Jersey.
    »Sechs Meilen, ganz sicher?« fragte Tookey weiter.
    »Verdammt sicher, ja. Ich fand diese Abzweigung, aber sie war eingeschneit … es war …«
    Tookey griff seinen Arm. Im flackernden Schein des Feuers sah sein Gesicht bleich und angespannt aus, machte sein sechsundsechzigjähriges Gesicht noch um zehn Jahre älter.
    »Du bist rechts abgebogen?«
    »Rechts, ja, stimmt. Meine Frau -«
    »Habt ihr ein Schild gesehen?«
    »Ein Schild?« Er sah Tookey fragend an und wischte sich die Nasenspitze ab. »Natürlich habe ich es gesehen. Das war auch in meiner Beschreibung. Nimm die Jointner Avenue durch Jerusalem’s Lot bis zur Auffahrt auf die 291.« Er sah von Tookey zu mir und wieder zu Tookey. Draußen heulte, ächzte und brüllte der Wind um die Dächer. »War das nicht richtig, Mister?«
    »Jerusalem’s Lot«, sagte Tookey, beinahe zu leise, ab daß man ihn hören konnte. »O mein Gott.«
    »Was ist denn?« fragte der Mann. Er hob seine Stimme. »Was ist los? Ich meine, die Straße sah eingeschneit aus, aber ich dachte … wenn da eine Stadt ist, kommen doch die Pflüge … dann hätte ich …«
    Er verstummte plötzlich.
    »Booth«, sagte Tookey leise zu mir. »Geh an das Telefon. Ruf den Sheriff an.«
    »Genau«, sagte dieser Idiot aus New Jersey, »das ist es. Was ist überhaupt los mit euch, Jungs? Ihr seht aus, als hättet ihr ein Gespenst gesehen.«
    Tookey sagte: »Gespenster gibt es keine im Lot, Mister. Hast du ihnen gesagt, daß sie im Wagen bleiben sollen?«
    »Sicher hab’ ich das getan. Ich bin doch nicht blöde.«
    Nun, ich hätte darauf keinen Eid geleistet.
    »Wie heißt du?« fragte ich ihn. »Für den Sheriff.«
    »Lumley«, sagte er. »Gerard Lumley.«
    Er fing wieder mit Tookey an, und ich ging zum Telefon hinüber. Ich nahm den Hörer ab und hörte nichts außer einem tödlichen Schweigen.
    Ich schlug ein paarmal auf die Unterbrechungstasten. Immer noch nichts.
    Ich kam zurück. Tookey hatte Lumley noch ein wenig Brandy eingeschüttet, und der ging ihm jetzt ein wenig leichter die Kehle hinunter.
    »War er nicht da?« fragte Tookey.
    »Leitung ist tot.«
    »Verdammte Scheiße«, sagte Tookey, und wir sahen uns an.
    Draußen frischte der Wind auf und warf Schnee gegen die Fenster.
    Lumley blickte von Tookey zu mir und wieder zurück.
    »Hat denn keiner von euch ein Auto?« fragte er. Die Angst war in seine Stimme zurückgekehrt. »Sie müssen den Motor laufenlassen, damit die Heizung läuft. Ich hatte den Tank nur noch zu einem Viertel voll, und bis

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