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Nachtschicht

Nachtschicht

Titel: Nachtschicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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narrensichere Cancerektomie entwickelt. Und wenn sie in dieser Situation alles aus ihr rausholen wollten, hätte sie nur noch Beine und Kopf. Er hat daran gedacht, daß sie die Zeit nicht mehr unter Kontrolle hat, wie den Inhalt eines Nähkastens, der auf dem Boden verstreut wurde und mit dem jetzt der große böse Kater spielt. Die Tage in Zimmer 312. Die Nächte in Zimmer 312. Sie haben ein Stück Tau an die Rufklingel gebunden und ihr am linken Zeigefinger befestigt, weil sie ihre Hand nicht mehr so weit bewegen kann, daß sie die Klingel erreicht, wenn sie denkt, daß sie eine Bettpfanne braucht.
    Es spielt ohnehin keine große Rolle mehr, denn sie spürt den Druck unten nicht. Ihre Körpermitte könnte ebensogut ein Sack voll Sägespäne sein. Sie entleert ihren Darm ins Bett, und sie pinkelt ins Bett und merkt es nur, wenn sie es riecht. Sie ist von hundertfünfundvierzig auf neunzig Pfund abgemagert, und ihre Körpermuskeln sind so schwach, daß ihr Körper wie eine Kinderpuppe aus Stoff an ihrem Kopf hängt. Wäre es anders, wenn sie in Kevins Haus wäre? Kann er einen Mord begehen?
    Er weiß, daß es Mord wäre. Muttermord, die schlimmste Art von Mord. Als ob er ein intelligenter Fötus aus einer frühen Horrorgeschichte von Ray Bradbury sei, der entschlossen ist, den Spieß umzudrehen und das Tier, das ihm das Leben gab, abzutreiben. Vielleicht ist alles sowieso seine. Schuld. Er ist das einzige Kind, das sie in ihrem Leib ausgetragen hat. Sein Bruder Kevin wurde adoptiert, als ein weiterer lächelnder Arzt ihr sagte, daß sie nie eigene Kinder haben werde. Und nun wuchs der Krebs in ihrem Leib wie ein zweites Kind, sein eigener finsterer Zwilling. Sein Leben und ihr Tod nahmen von der gleichen Stelle ihren Ausgang. Sollte er nicht lieber tun, was der andere so langsam und ungeschickt tut?
    Gegen die Schmerzen, die sie sich einbildet, hat er ihr heimlich Aspirin gegeben. Zusammen mit ihren Genesungskarten und ihrer Lesebrille bewahrt sie sie in der Nachtschrankschublade auf. Sie haben ihr die Zahnprothesen weggenommen, denn sie fürchten, daß sie sie verschlucken könnte und vielleicht an ihnen erstickt. Jetzt lutscht sie die Aspirintabletten einfach, bis ihre Zunge weiß ist.
    Gewiß, ich könnte ihr die Tabletten geben; drei oder vier würden genügen. Vierzehnhundert Gran Aspirin und vierhundert Gran Darvon. Einer Frau verabreicht, die in fünf Monaten 33 % ihres Körpergewichts verloren hat.
    Niemand weiß, daß er die Tabletten hat, Kevin nicht und auch nicht seine Frau. Er denkt, daß man vielleicht jemand anders in das zweite Bett in Zimmer 312 verlegt hat. Dann brauchte er sich keine Sorgen mehr zu machen. Dann kann er seinen Plan ruhig aufgeben. Er fragt sich, ob das nicht vielleicht das beste wäre. Wenn eine zweite Frau im Zimmer liegt, hat er keine Wahl mehr, und er kann das als einen Wink der Vorsehung betrachten. Er denkt 
    – Du siehst heute abend besser aus.
    – Findest du?
    – Ja. Wie fühlst du dich?
    – Oh, nicht so gut. Heute abend nicht so gut.
    – Beweg mal deine rechte Hand.
    Sie hebt die Hand von der Steppdecke. Mit gespreizten Fingern schwebt sie einen Augenblick vor ihren Augen. Dann sinkt sie wieder herab. Er lächelt, und sie lächelt zurück. Er fragt sie:
    – War der Arzt heute hier?
    – Ja, er war heute hier. Er kommt jeden Tag. Bringst du mir etwas Wasser, John?
    Er reicht ihr Wasser und den Strohhalm.
    – Es ist lieb von dir, so oft zu kommen, John. Du bist ein guter Junge.
    Sie weint wieder. Das andere Bett steht anklagend leer. Ab und zu segelt eine der blau und weiß gestreiften Bademäntel durch den Flur. Die Tür ist halb geöffnet. Er nimmt ihr behutsam das Wasser weg und denkt idiotisch: Ist dies Glas halb leer oder halb voll?
    – Wie geht es deiner linken Hand?
    – Oh, ganz gut.
    – Zeig mal.
    Sie hebt die linke Hand. Es war immer ihre geschicktere Hand. Vielleicht hat sie sich deshalb von den verheerenden Auswirkungen der »Cortotomie« so gut erholt. Sie ballt sie zur Faust. Spannt die Finger an. Schnippt ein wenig mit den Fingern. Dann fällt sie auf die Steppdecke zurück. Sie klagt.
    – Aber ich habe kein Gefühl in der Hand.
    – Ich will mal etwas nachsehen.
    Eröffnet den Schrank und greift hinter den Mantel, den sie trug, als sie eingeliefert wurde, um ihre Handtasche zu holen.
    Sie bewahrt sie im Schrank auf, weil sie wahnsinnige Angst vor Dieben hat. Von einer Bettnachbarin, die inzwischen wieder zu Hause ist, hat sie gehört, daß unter dem

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