Nachtschrei - Deaver, J: Nachtschrei - The Bodies left behind
der rechten Hand. Der andere Arm hing an seiner Seite herab, und Brynn hatte den Eindruck, dass der Mann sich verletzt hatte. Er verschwand irgendwo im Wohnzimmer.
Brynn spannte sich an und ging in Schussposition. Ihre Aufmerksamkeit blieb auf die spiegelnden Fenster und den vorderen Teil des Hauses gerichtet.
Du musst sofort schießen, ermahnte sie sich. Dein einziger Vorteil ist das Überraschungsmoment. Nutze es. Er ist im Wohnzimmer. Das sind nur sechs Meter. Tritt zur Türöffnung vor, gib drei schnelle Schüsse ab, und geh wieder in Deckung. Du kannst ihn erwischen.
Mach es.
Los.
Brynn schluckte, löste sich von der Wand und drehte sich zum Wohnzimmer. Dann zuckte sie zusammen, als hinter ihr aus dem Esszimmer eine Stimme rief: »Hören Sie, Lady, Sie tun jetzt, was wir sagen!« Ein hagerer Mann in einer Militärjacke, mit kurzem hellem Haar, einer Tätowierung am Hals und stechendem Blick, war durch die Fliegengittertür hereingekommen. Er hob eine Schrotflinte an die Schulter.
Brynn wirbelte zu ihm herum.
Sie feuerten gleichzeitig. Brynn verfehlte ihn knapper als er sie - woraufhin er sich duckte und sie sich nicht. Während ihre Kugel wenige Zentimeter neben ihm in einen der gepolsterten Esszimmerstühle einschlug, riss seine Schrotladung ein Loch in die Decke über Brynns Kopf und ließ Splitter herabregnen.
Der Mann floh zurück nach draußen. »Hart! Eine Waffe! Sie hat eine Waffe!«
Im Hinblick auf den genauen Wortlaut war Brynn sich allerdings nicht sicher. Die Schüsse waren laut wie Donnerschläge gewesen und dröhnten noch in ihren Ohren.
Brynn schaute ins Wohnzimmer. Von Hart keine Spur. Sie machte einen Schritt auf die Küchentür zu. Und hielt inne. Sie konnte nicht einfach abhauen. Die Freundin der Feldmans war vielleicht noch hier.
»Ich bin Deputy des Sheriffs«, rief sie. »Hallo! Ist jemand im Haus? Sind Sie oben?«
Stille.
Brynns Blick suchte hektisch die Fenster ab. Obwohl sie hier zitternd im Schatten kauerte, war sie sich sicher, dass jemand genau in diesem Moment auf sie zielte. »Hallo?«
Nichts.
»Ist jemand hier?«
Die längsten zwanzig Sekunden ihres Lebens.
Verschwinde von hier, forderte sie sich auf. Hol Hilfe. Wenn du tot bist, kannst du niemandem mehr nützen.
Sie rannte zur Hintertür hinaus und keuchte dabei gleichermaßen vor Angst wie vor Anstrengung. Mit dem Schlüssel in der linken Hand eilte sie zur Vorderseite des Hauses. Es war niemand zu sehen.
Die Sonne war inzwischen ganz untergegangen, und es wurde schnell dunkler. Doch der Himmel war gerade noch hell genug, dass Brynn den Schemen eines der Täter sehen konnte, der auf einige Büsche zulief. Er hatte ihr den Rücken zugewandt.
Es war der Verwundete, Hart. Brynn legte an, aber der Mann verschwand in einem Dickicht aus Bärentrauben und Rhododendren.
Brynn suchte den Vorgarten ab. Der andere Mann, der mit der Schrotflinte und dem schmalen Gesicht, war nirgendwo zu entdecken. Sie lief zum Wagen. Als sie hinter sich Blätter rascheln hörte, warf sie sich sofort zu Boden. Die Schrotflinte feuerte. Kleine Kugeln zischten an Brynn vorbei und prasselten gegen den Honda. Brynn schoss zweimal ins Unterholz und verstieß damit gegen die Grundregel, nie abzudrücken, wenn man kein deutliches Ziel vor Augen hatte. Sie sah den dünnen Mann geduckt hinter das Haus zurückweichen.
Dann stand sie auf und öffnete die Wagentür. Doch anstatt einzusteigen, blieb sie stehen und bot sich selbst als Ziel an, während sie gleichzeitig die schwarze Glock auf das Gebüsch richtete, in dem Hart verschwunden war. Sie bemühte sich, ruhiger zu atmen. Und mit sicherer Hand zu zielen.
Na los, komm schon … ich hab nur ein oder zwei Sekunden Zeit …
Dann sprang Hart aus dem Dickicht hervor, so nahe, dass Brynn erkennen konnte, wie verblüfft er war, von ihr erwartet zu werden. Brynn war ebenfalls überrascht; sie hatte nicht so weit rechts mit ihm gerechnet. Bis sie die Waffe herumgerissen und drei Schüsse abgegeben hatte, war er bereits wieder in Deckung gehechtet. Sie glaubte trotzdem, ihn vielleicht getroffen zu haben.
Aber nun war es höchste Zeit, von hier zu fliehen.
Sie stieg hastig in den Wagen und achtete nicht weiter auf ihre Umgebung, sondern konzentrierte sich darauf, den Zündschlüssel ins Schloss zu stecken. Der Motor erwachte zum Leben. Brynn legte den Rückwärtsgang ein und trat das Gaspedal durch. Der Honda schlitterte mit durchdrehenden Reifen über den Kies davon. Durch die Windschutzscheibe sah
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