Nachtschwarze Küsse - Scent of Darkness (Darkness Chosen 01)
mit Tränen. Dann war er zusammengebrochen. Und sie war mit einem Satz bei ihm gewesen.
Hatte sie allen Ernstes geglaubt, sie könnte diesem Baum von einem Mann aufhelfen? Seine zarte, winzige Mutter? Gleichwohl hatte sie ihn den ganzen Weg die Treppe hinunter
gestützt und zum Krankenwagen begleitet, der ihn mit Blaulicht und Sirene nach Seattle in die Klinik gebracht hatte.
Jasha schlenderte zu den deckenhohen Fenstern und blickte hinaus - über die wild zerklüftete Küstenlinie auf den sturmgepeitschten, gischtsprühenden Atlantik.
Sobald die Ärzte Konstantines Zustand für stabil erklärten, hatte Jasha seine Pflichten als stellvertretendes Oberhaupt der Familie wahrgenommen. Er hatte Zorana, Firebird und Rurik am Krankenbett seines Vaters zurückgelassen und war hierhergefahren, um sich zu vergewissern, dass die geheimen Dokumente der Familie - ihre Wertpapiere, ihre Einwanderungsdokumente, ihre privaten Aufzeichnungen - unangetastet unten im Safe lagen.
Alles war noch da, gut versteckt in seiner bizarr anmutenden Villa am Meer und von der besten Alarmanlage geschützt, die man für Geld kaufen konnte.
Die Alarmanlage, die Ann ausgeschaltet und nicht wieder eingeschaltet hatte.
Hatte sie das absichtlich gemacht? Hatten die Varinskis sie dafür bezahlt, dass sie herkam und ihn in die Falle lockte? Oder Ann mit Drohungen weichgeklopft, weil sie nicht freiwillig mitspielte?
»Hi.« Sie stand in dem gewölbten Türbogen. In seinen flauschigen weißen Frotteebademantel gekuschelt, in dem sie fast versank. Er registrierte die tiefroten Kratzer auf ihren wohlgeformten Waden. Sie hatte ihre noch feuchten Haare streng nach hinten gebürstet, und ihr Gesicht sah blass und mitgenommen aus. Ihre blauen Augen waren dunkel umwölkt. Allerdings lächelte sie zaghaft, ein entrücktes Lächeln, genau wie im Büro, wenn sie sich von ihm unbeobachtet glaubte. »Ist alles in Ordnung?«
»So weit ja.«
»Kann ich mich irgendwie nützlich machen?«
Sie würde niemals falschspielen und ihn ans Messer liefern. Jedenfalls nicht bewusst. Ann Smith war grundehrlich. Dafür würde er seine Hand ins Feuer legen.
Außerdem bewunderte sie ihn. Das war ihm gleich beim Einstellungsgespräch aufgefallen. Anns Schwärmerei für ihn hatte ihre Arbeitsleistung nie negativ beeinflusst, ganz im Gegenteil, das bisweilen elektrisierende Knistern zwischen ihnen wirkte sich höchst positiv aus.
Sie humpelte zur Treppe und stolperte über die Teppichkante. Mit einem gepressten Stöhnen spähte sie zu ihm, unsicher, ob er sie beobachtete. Dann atmete sie tief durch. »Bist du sauer, dass ich hergekommen bin? Ich meine, du hast mich schließlich nicht erwartet, sonst …«
»Hätte ich mich nicht in einen Wolf verwandelt, meinst du das?«
»Ja. Genau das.«
Er hätte hinauslaufen und sich Leaders Rudel anschließen sollen, aber der Schock war ihm in sämtliche Glieder gefahren. Er hatte nur noch gedacht: Was kann ein einziges Mal schon groß ausmachen?
Jetzt wusste er es.
Hätte er ihren Duft doch bloß früher gewittert …
»Du fragtest vorhin, wer mich geschickt hat. Und du sagtest, ich wäre wie der Teufel und der illegale Jäger und wie deine Mutter.« Ann straffte sich und bohrte den Blick in seinen. »Wie ist das im Klartext zu verstehen?«
»Ich war eben wütend«, entschuldigte er sich halbherzig. Etwas Besseres fiel ihm dazu nicht ein.
»Du liebst deine Mutter, oder etwa nicht?« Auf Anns Gesicht malten sich Hoffnung und Verzweiflung, wie bei einem ungeliebten Kind, das tief enttäuscht worden ist.
Wer war diese Frau, die die Ikone entdeckt hatte? Er wusste
nichts über ihr früheres Leben. Es war ihm vorher nie wichtig gewesen. Sie war ihm vorher nie wichtig gewesen.
»Natürlich liebe ich meine Mutter. Sie kann nichts für das, was geschehen ist. Ich weiß nicht, wer uns das eingebrockt hat«, sagte er mehr zu sich selbst.
»Ärgerst du dich über die Verhandlungen mit den Ukrainern? Du kannst die Verträge nachträglich noch annullieren, wenn dir die Sache nicht geheuer ist. Da sehe ich kein Problem. Dann müssen wir die Expansion von Wilder Wines eben noch eine Weile auf Eis legen. Wir finden bestimmt einen anderen Partner, der unsere Weine im Ausland vertreibt.«
»Ich weiß.« Ihre Äußerungen zeigten ihm, dass Ann von dem fremden Unternehmen nicht mehr und nicht weniger wusste als er.
Er musterte sie eindringlich. Naiv? Ja. Unwissend? Ja.
Das besagte gar nichts. Trotz alledem konnte sie eine Verräterin
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