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Nachtseelen

Titel: Nachtseelen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Krouk Olga
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verwandelt werden. Sich also ein Beispiel am Schanzenviertel nehmen, jung, bunt und schillernd werden, Multikulti von seiner positivsten Seite zeigen. Ein Unterfangen, das bis jetzt einen eher bescheidenen Erfolg zeigte. Klar lockte es oft Studenten hierher, weil die Mieten so günstig lagen, doch wer es sich leisten konnte, zog hier genauso schnell weg. Nun ja. Zumindest wurde schon ein Weilchen nicht mehr von gewalttätigen Auseinandersetzungen in diesem Stadtteil berichtet, höchstwahrscheinlich, um keine schlechte Publicity zu erzeugen.
    Alba würde es niemals offen zugeben, aber aus freien Stücken wäre sie nie hierhergekommen. Und jetzt beruhigte sie sich mit dem Gedanken, dass sie in Begleitung
ihres untoten Großonkels mit den übernatürlichen Fähigkeiten selbst in dieser Gegend sicherlich einen gewissen Schutz genoss.
    Durch die Eingangstür, die Adrián anvisiert hatte, schlurfte eine alte Frau mit prallgefüllten Tüten aus einem Discounter ins Hausinnere. Der Nachzehrer fing die Tür ab, bevor sie zufiel, und navigierte Alba in den 6. Stock. Ein Fußabtreter mit der Aufschrift »Willkommen«, die man vor lauter Schmutz kaum noch lesen konnte, lag schief vor der Tür. Über dem Klingelknopf stand »Heidemann« geschrieben.
    Adrián wollte klingeln, doch sein Finger verharrte kurz vor dem Knopf, ehe er dann gegen die Tür stieß. Wie in einem Horrorstreifen ging diese geräuschlos auf. Dahinter verbarg sich ein enger, dunkler Flur.
    Â»Hm. Seltsam«, brummte er und machte einen vorsichtigen Schritt hinein.
    An der Seite ihres Großonkels hatte Alba eigentlich nichts zu befürchten, doch das Unbehagen wollte nicht von ihr weichen. Sie zwang sich, Adrián zu folgen.
    Aus der Wohnung schlug ihr ein Gestank entgegen, den sie nicht zu identifizieren vermochte und – Hand aufs Herz – auch nicht identifizieren wollte. Sie verdeckte ihre Nase mit dem Kragen ihrer Jacke und bemühte sich, die aufsteigende Übelkeit zu unterdrücken. Was war denn hier verendet? Jede Müllhalde würde ihr danach wie ein Rosenparadies vorkommen.
    Â»Sebastian?«, rief Adrián. »Bist du da? Ist alles in Ordnung bei dir?«

    Ein umgeworfener Garderobenständer lehnte an der Wand. Der Untote duckte sich unter ihm hinweg, ohne diesen zu berühren.
    Â»Dem Gestank nach zu urteilen, ist er bereits dabei zu verwesen«, flüsterte Alba, doch über den Scherz konnte nicht einmal sie selbst lachen.
    Der Nachzehrer schlich weiter den engen Flur entlang, Alba ihm dicht auf den Fersen. Noch hatte sie ihr Unbehagen weit genug im Griff, um nicht wie ein kleines Mädchen die Hand ihres Großonkels zu ergreifen.
    Durch die offene Küchentür konnte sie zumindest einen Grund für die übelriechende Luft feststellen: Wo sie auch hinblickte, stapelte sich das Geschirr mit Essensresten, die von einer pelzigen Schimmelschicht überzogen waren. Der Schimmel stellte nicht die einzige Lebensform in diesem Mikrokosmos dar – Fliegen, die im Herbst normalerweise eher selten anzutreffen waren, surrten träge darüber oder krochen über das fleckige, mit Fett bespritzte Fenster, an dem ebenfalls Essensreste klebten.
    Unter der Spüle hing eine Schranktür nur noch an einem Scharnier herunter, neben dem umgekippten Mülleimer lag sein Inhalt über das Linoleum verstreut, und irgendeine braune Flüssigkeit war über den Belag verschmiert.
    Â»Sebastian?«, rief Adrián erneut.
    Aus einem Zimmer am Ende des Flurs tönte ein Rascheln. Adrián hob warnend die Hand, und Alba verharrte mitten in der Bewegung. Sie musste immer wieder
schlucken, um sich nicht zu übergeben. Der Gestank schien an ihrer Zunge zu kleben, als hätte sie in der Küche über das Linoleum geleckt.
    Der Nachzehrer stahl sich zu dem Zimmer, aus dem das Geräusch gekommen war. An die Wand gedrückt, als gehöre er einem Spezialkommando an, stieß er mit der Schuhspitze die Tür auf.
    Â»Sebastian, bist du da?«
    Ein Glucksen drang ihm entgegen. Dann kicherte jemand.
    Â»Adri, du – hier?«, erklang das Lallen eines Betrunkenen. »Komm rein, alter Freund. Wie schön, dass du mich besuchst. Sonst sehe ich hier keinen, weißt du. Kein Hahn kräht mehr nach mir. So ist es, wenn man ein Familienmensch wird.« Wieder kam das Kichern, das in ein Husten überging.
    Adrián wartete einen Augenblick, dann spähte er

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