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Nachtseelen

Titel: Nachtseelen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Krouk Olga
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hinein. »Ach du Gütiger«, entfuhr es ihm.
    Alba trat näher und sah an ihrem Großonkel vorbei in das Zimmer.
    Â»Nein, nicht!«, rief Adrián, doch es war zu spät – sie hatte das Grauen bereits erblickt.
    Zwischen den halbabgerissenen Gardinen fiel etwas Restlicht von draußen herein. Die Stühle und ein Sessel waren umgeworfen, die Glasplatte des Couchtischs zerbrochen, und es stand nur noch der Tischrahmen, aus dem Scherben wie Zähne herausragten.
    In der hinteren Ecke hockte eine Gestalt, bloß in Boxershorts gekleidet. Die fettigen, grauen Strähnen hingen
ihr ins Gesicht, der Kopf baumelte vor der Brust. Der Abtrünnige saß im eigenen Unrat, eine halbleere Wodkaflasche griffbereit, und wiegte in den Armen ein Neugeborenes.
    Beim Anblick des Kindes stieß Alba einen Entsetzensschrei aus, wollte zu der Gestalt laufen und ihm das Kleine entreißen, doch Adrián packte sie am Arm.
    Â»Es ist tot«, würgte er mit belegter Stimme hervor.
    Der kleine Körper hing schlaff in den Armen, getrocknetes Blut klebte an der nackten, bläulich angelaufenen Haut.
    Alba presste sich die Hand vor den Mund und spürte, wie Galle ihr die Kehle emporstieg. Vor ihren Augen drehte sich alles: das verwüstete Zimmer, die Gestalt mit dem toten Baby im Schoß …
    Bring mich hier weg, Adrián, bring mich hier weg! Sie war nicht mehr dazu imstande zu sprechen.
    Adrián stützte sie. »Gleich«, formten seine Lippen. Zu der Gestalt sagte er leise, aber dennoch mit Nachdruck: »Was ist hier passiert, Sebastian? Wo ist deine Frau?«
    Der Abtrünnige kreischte plötzlich auf und drückte sich das tote Kind an die Brust. »Bleib, wo du bist! Niemand wird mir mein Töchterchen wegnehmen! Niemand, hörst du?«
    Â»Beruhige dich. Keiner will dir etwas Böses. Aber du brauchst Hilfe. Wie lange sitzt du hier schon so?«
    Â»Wir brauchen nichts! Und schon gar nicht von einer Kreatur wie dir. Bleib mir vom Leib, ich weiß genau, was du im Schilde führst. Du willst meiner Süßen das Leben
aussaugen.« Seine Stimme brach. »Du willst sie töten … töten … töten …«, wimmerte er. Jedes weitere »töten« wurde leiser, bis das Wort in Weinkrämpfen unterging. Sebastians schmächtiger Körper erbebte. Der Kopf wippte wie auf einer Sprungfeder. Der Abtrünnige wiegte das Baby schneller hin und her, drückte es ruckartig an sich. »Scht, scht, scht. Nicht weinen, alles wird gut«, säuselte er. »Der Papa ist bei dir. Hast du Durst? Ja? Mein Kleines hat Durst …« Er nahm die Wodkaflasche, kippte selbst einen Schluck hinunter, dann hielt er sie dem Kind an die Lippen und goss etwas von dem Alkohol in den starren Mund. Die Flüssigkeit rann die graublauen Wangen des Babys herab und spülte das getrocknete Blut fort.
    Alba wandte ihr Gesicht ab und lehnte sich an Adrián. Sie war nicht mehr in der Lage, allein zu stehen. Ihre Beine fühlten sich an wie aus Watte. Ihr Magen zog sich zusammen, aber sie hatte schon lange nichts mehr gegessen, und abgesehen von den Magensäften gab er nichts her.
    Â»Sebastian«, startete Adrián noch einen Versuch. »Lass mich dir helfen. Okay?«
    Â»Du willst mir helfen?«, kreischte dieser auf, so dass Alba zusammenzuckte und ihn ansehen musste. »Du hast Hannes ermordet, du verfluchte Kreatur!« Er zog den Rotz hoch und spuckte. Der Auswurf landete auf Adriáns Schuhen.
    Â»Du erinnerst dich also an Johannes?«, fragte der Nachzehrer genauso ruhig wie zuvor.

    Â»Er war mein bester Freund! Er war … Er hat …« Sebastians Stimmung schlug erneut um, er schluchzte und winselte, als hätte ihn jemand getreten. »Er hat Großmütterchen Tilde geschlachtet. Mein Ein und Alles. Meine Seele.«
    Â»Richtig, er hat dein Seelentier getötet. Und er hat kleine Kinder entführt, sie in einem Keller eingesperrt und kranken Tieren vorgeworfen. Weißt du etwas darüber?«
    Eine Pause entstand, in der nur Sebastians rasselnder Atem die Stille durchbrach. Dann lallte er, fast so, als würde er eine längst vergessene Melodie summen: »Hannes, Hannes. Er hätte alles getan, um seine Königin gnädig zu stimmen. Wir waren so wenige. Viel zu wenige.«
    Â»Also steckt Linnea hinter all dem?«
    Â»Die wahre Königin«, summte Sebastian und wiegte sich vor und zurück. »Linnea …« Der

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