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Nachtseelen

Titel: Nachtseelen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Krouk Olga
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gesehen.« Bei diesem Satz stellten sich ihr die Härchen auf den Armen auf. Der Unbekannte hatte ihn beinahe zärtlich gesagt, und sie glaubte an die Aufrichtigkeit seiner Worte. Fast tat es ihr leid, ihn am Tatort erwischt zu haben.
    Alba sah nicht, wie er sich bewegt hatte, ehe er auf einmal dicht vor ihr auftauchte und sie am Nacken packte. Seine Präsenz schien sie zu erdrücken, als wäre sie ein Ungeziefer unter seiner Schuhsohle. Sie wäre weggerannt, wenn sie sich von der Stelle hätte bewegen können. Seine Augen hellten sich auf, bis sie an Eis erinnerten. Ihr wurde schwindelig. Langsam wusste sie nicht mehr, wo sie war und was sie hier eigentlich tat. Plötzlich weiteten sich seine Pupillen, verschluckten vollkommen die Iris und wirkten unnatürlich groß.

    Gleich würde er sie umbringen und ihr Blut im Flur verteilen. Ihr Blick glitt die Wände hoch zu der vergilbten Decke – nun ja, die müsste eh gestrichen werden. Was würde sie fühlen, während er sie tötete? Bloß nicht diese Gleichgültigkeit, als wäre sie von ihrem eigenen Körper und der Realität abgekoppelt.
    Dann presste der Mann seine Lippen auf ihre, in einem Kuss, der ihr Inneres vereiste. Ein Schmerz schoss durch die Mitte ihrer Stirn und schraubte sich in ihr Hirn. Alba japste. Sie wand sich im Griff und trommelte gegen die Brust des Angreifers. Mit jedem Schlag wurden ihre Bewegungen träger. Als ströme jegliche Kraft aus ihrem Körper, erschlaffte sie wie ein Strandball, bei dem jemand das Ventil geöffnet hatte.
    Ihr schwirrte der Kopf. Bilder vernebelten ihren Geist und lockten sie mit sich fort:
    Die kleine Alba schleift einen Hocker ans Fenster, klettert darauf und drückt ihre Nase gegen die Scheibe. Im Garten streiten eine Frau und ein älterer Mann – ihr Großvater!
    Â»Was soll ich denn mit dem Kind?«, ruft er der Frau hinterher, die auf das Gartentor zusteuert. »Du kannst doch das Mädchen nicht einfach so hierlassen!«
    Die Frau wirbelt herum, und erst jetzt erkennt Alba ihre Mutter. »Und ob ich das kann! Du hast mich im Stich gelassen, obwohl ich alles tat, um dir zu gefallen. Jetzt hast du eine Chance, es bei deiner Enkelin besser zu machen. Ciao – oder soll ich lieber Adiós sagen?«, stößt sie verächtlich durch die Zähne und setzt ihren Weg fort.
Die Bilder verblassen und werden von anderen abgelöst. Jetzt sitzt sie mit ihrem Opa vor dem Kamin und lauscht gespannt einer Schauergeschichte. Nur das Knistern des Feuers und die leise Erzählstimme unterbrechen die Stille.
    Â»Und wie kann man die Nachzehrer töten?«, fragt sie, als er die Geschichte beendet.
    Â»Gar nicht, mein Mädchen.« Er tätschelt ihren Kopf. »Sie sind unsterblich – weder ein Pflock noch Weihwasser können ihnen etwas anhaben.«
    Â»Trinken sie Blut?«
    Â»Nein, Liebes. Sie saugen den Menschen die Lebensenergie aus.« Dann fällt er über sie her und kitzelt sie durch, bis Alba kaum noch Luft bekommt.
    Nein, sie durfte den Trugbildern keinen Glauben schenken. Wie durch einen Schleier sah sie das Gesicht des Mannes, der sie küsste. Er schmeckte herb und intensiv, wie ein Plättchen Bitterschokolade, das auf ihrer Zunge zerlief. Die Lider fielen ihr zu, ihre Glieder wurden immer schwerer.
    Stopp! , pochte es in ihren Schläfen. Du musst kämpfen, du darfst nicht aufgeben!
    Warum nicht?
    Vielleicht vermochte dieser Mann in ihr Leidenschaft zu wecken, auch wenn es das Letzte gewesen wäre, was sie vor dem Tod gespürt hätte. Ein schönes Gefühl, mit dem zu sterben gar nicht so schlimm wäre. Immerhin hätte sie wenigstens erfahren, wie es war, in dieser Erregung völlig zu vergehen.

    Alba sammelte ihre Kräfte und schaute auf. Allein der Versuch, die Augen zu öffnen, kostete sie immense Anstrengungen. Gleich würde es vorbei sein.
    Plötzlich keuchte der Mann und zuckte zurück. Alba schnappte nach Luft, tastete mit einer Hand, um Halt zu finden. Der Kandelaber kam ihr unter die Finger, und mit ihm fand sie auch ihr rationales Denken wieder. Sie umschloss ihn, holte aus und drosch damit auf den Mann ein. Zumindest hatte sie das vor, doch in Wirklichkeit kippte der Kerzenständer ihr eher aus der Hand, als dass sie zugeschlagen hätte. Der Mann duckte sich. Mit einer letzten Kraftanstrengung schleuderte Alba ihre Waffe nach ihm.
    Und verfehlte ihn, traf bloß einen

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