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Nachtseelen

Titel: Nachtseelen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Krouk Olga
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sie.
    Als Alba endlich durch das quietschende Gartentor auf den Kiesweg schritt, spürte sie einen Hauch von Wehmut. Alles hier fühlte sich vertraut an. Und es beunruhigte sie. Zum wiederholten Male fragte sie sich, was sie hier wollte. Antworten? Auf die Fragen, die sie nicht stellen konnte?
    Das Unkraut überwucherte den Rasen und rankte sich an einer verrosteten Hollywood-Schaukel hoch. Alba blieb stehen. Diese Schaukel … Sie fühlte das sanfte Hin- und Herwiegen und wie ihr Kopf im Schoß ihres Opas ruhte. Nein. Sie musste sich das einbilden. Hier war sie niemals gewesen, der Großvater war für sie wie ein fremder Mann.

    Etwas raschelte. Eine getigerte Katze schlich durch das Gras zum offenen Fenster. Alba trat unter das Vordach und wollte klingeln, als sie die geöffnete Tür bemerkte. Seltsam. Warum schloss ihr Großvater nicht ab?
    Vorsichtig drückte sie den Griff und schlüpfte durch den Spalt in den Flur. Ein seltsamer Geruch schlug ihr entgegen. Schwer, süßlich und wie von Verwesung. Sie schlich den Korridor entlang und verharrte auf der Schwelle zum Wohnzimmer.
    Sie hätte schreien sollen. Oder fortlaufen. Irgendeine Regung zeigen, die ein normales menschliches Wesen wohl gezeigt hätte. Aber sie stand bloß da und stierte vor sich hin.
    Das Mobiliar war zu Kleinholz zerschlagen. Seiten, aus den Büchern herausgerissen, bedeckten den Boden. Überall an den Wänden und der Decke waren dunkelrote Spritzer. Blut. Als hätte jemand eine Kuh bei lebendigem Leibe zersägt und die Innereien im Raum verstreut. Alba wurde übel. Dann sah sie Hermann Herzhoff. Er lag in einer Ecke, das Fleisch hing ihm von den Knochen, seine Kehle klaffte weit auf. Aus dem aufgeschlitzten Bauch, über dem ein Schwarm Fliegen surrte, quollen Gedärme.
    Alba keuchte und stakste ins Zimmer, ihre Beine starr wie Stöcke.
    Meine Schlacht wohl nicht gewonnen,
    Noch vor Aufgang der Sonnen.
    Die Zeilen des Briefes hüpften vor ihren Augen, als sie in die Handtasche griff und intuitiv nach ihrem Handy
suchte. Endlich bekam sie es zu fassen. Sie wählte den Notruf, vertippte sich und wählte die Nummer noch einmal. Es wurde abgenommen. Alba holte tief Luft, versuchte eine Meldung durchzugeben, doch die Worte stockten ihr in der Kehle. Sie bemühte sich, die Silben zu sinnvollen Sätzen zu fügen, aber alles, was sie hervorbringen konnte, waren undeutliche Laute, einem Tier gleich.
    Alba schluchzte, gepeinigt von ihrer Hilflosigkeit, und biss sich in den Zeigefinger, um ihr Gewimmer und den Würgereiz zu unterdrücken.
    Da hörte sie im Korridor Schritte.

Kapitel 2
    A lba wusste nicht, was sie dazu bewogen hatte, Hals über Kopf in den Flur zu stürzen. Der Gedanke »Himmel, bist du irre oder einfach nur bescheuert?« kam erst, nachdem sie aus dem Wohnzimmer gelaufen war und einen hochgewachsenen Mann zur Eingangstür schleichen sah. Sie stieß gegen eine Kommode, wobei sie einen schmiedeeisernen Kandelaber ins Schwanken brachte, und verharrte. Der Unbekannte fuhr herum.
    Er war es! Der Mörder. Wer nichts zu verbergen hatte, würde nicht davonschleichen und dann so ertappt dreinblicken. Doch der wahre Grund, warum sein Anblick ihre Sinne durcheinanderwirbelte, war, dass er ihr bekannt vorkam. Wie das Haus, die Hollywoodschaukel, ja, wie alles andere hier rundherum. Er hatte markante Gesichtszüge, die frau nicht so leicht vergaß: das kantige Kinn, die Adlernase und die tiefblauen Augen. Das dunkle Haar fiel ihm wellig in den Nacken und verlieh ihm ein wildes, wenn nicht gar unheimliches Flair, und die Art, wie er sie anschaute, bescherte Alba Gänsehaut.
    Â»Wer bist du?«, entfuhr es ihm. Sein tiefer, beinahe sanfter Ton ließ ihre Haut prickeln.

    Niemand. Ich putze hier nur , hätte sie geantwortet, wenn sie gekonnt hätte. Aber die Angst schnürte ihr die Kehle zu und machte es ihr unmöglich, auch nur einen Laut herauszubringen. Nie zuvor in ihrem Leben hatte sie sich so gefürchtet. Der Gedanke ließ sie beinahe frohlocken. Also war sie doch normal, konnte empfinden wie jeder andere Mensch auch.
    Nein, ganz sicher nicht, zügelte sie sich. Denn normale Menschen jubelten nicht, wenn sie sich vor Angst fast ins Höschen pinkelten.
    Er beobachtete Alba. Auf seinem Gesicht zeigte sich ein Anflug von Erstaunen, dann Betroffenheit und schließlich Bedauern.
    Â»Es wäre besser für alle, du hättest mich nicht

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