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Nachtseelen

Titel: Nachtseelen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Krouk Olga
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Damals hatte er sie mit einem Kragenstäbchen geknackt.
    Er stellte sich auf die Zehenspitzen und tastete mit der linken Hand herum, bis er das Ende fand, an dem er etwas erreichen konnte. Mehrfach ritzte er sich dabei an dem Metall die Haut auf, ehe er an der Stelle den Draht rasch hin und her bog. Nach wie vor waren seine Finger leicht taub, was das ganze Unternehmen nicht gerade erleichterte.
    Er vernahm schlurfende Schritte. Juliane kehrte zurück.
    Komm schon! Brich ab!

    Er drückte und zog stärker, bis er ein Stück des Drahtes umschlossen hielt. Viel Zeit blieb ihm nicht mehr. Finn setzte sein simples Werkzeug in das Schlüsselloch der ersten Handschellen, als Juliane mit einer Spritze erschien. Sicherlich wollte sie ihn wieder betäuben, diesmal, um ihn aus dem Haus schaffen zu können.
    Â»Was machst du da?« Sie wollte zu ihm eilen, doch ihr Körper begann hin und her zu rucken, als kämpfe eine andere Kraft in ihr um die Kontrolle darüber. »Habe ich dich nicht gewarnt?«
    Verflucht, er brauchte nur noch wenige Sekunden! Doch sie hatte ihn schon fast erreicht. Mit einem Fuß trat er Juliane in die Rippen. Sie taumelte, ließ sich allerdings nicht abschrecken. Sie ging wieder auf ihn zu, presste ihn mit ihrem Körper gegen die Wand und stach mit der Spritze nach ihm, wobei sie seinen Oberschenkel erwischte.
    Endlich klackte der Verschlussmechanismus. Finns Hände waren frei, und er stemmte sich gegen seine Gegnerin. Er musste seine ganze Kraft aufwenden, als wäre sie kein Mensch, sondern ein Felsbrocken, den er von sich zu stoßen versuchte. Wenige Zentimeter wich sie zurück, und er stolperte von ihr weg, ohne darüber nachzudenken, wie und wohin er fliehen sollte, wenn die Frau ihm den Ausgang versperrte. Sein einziger Wunsch war, so viel Abstand wie möglich zwischen sie beide zu bringen, eine Verschnaufpause zu erlangen.
    Der Schmerz pochte in seinem gebrochenen Finger, und er löste, so schnell er konnte, auch die zweite Handschelle
mit dem Stückchen Draht. Ob er von dem Betäubungsmittel bereits etwas abbekommen hatte? Die Spritze mit der Flüssigkeit lag jedenfalls auf dem Boden.
    Erneut griff Juliane ihn an. Sie packte ihn am Arm und schleuderte ihn herum, mit einer Wucht, wie es einer alten Frau unmöglich gewesen wäre. »Nicht so schnell. Du willst doch nicht schon wieder gehen, ohne deinen Tee getrunken zu haben.«
    Finn stürzte gegen ein hölzernes Lattenregal, das unter seinem Gewicht zusammenbrach.
    Â»Du warst ein unartiger Junge, fürchte ich. Und unartige Jungs werden bestraft, das verstehst du sicherlich, oder?« Die Stimme krächzte und überschlug sich. Finn konnte kaum noch unterscheiden, was Juliane sagte.
    Dann folgten ein Schlag gegen sein Knie und Schmerzen, die ihn aufschreien ließen, als wäre sein Bein zertrümmert worden. Vor seinen Augen tanzten schwarze Punkte, vergrößerten sich, raubten ihm die Sicht. Die kleinste Bewegung brachte neue Qualen. Er wünschte sich, das Bewusstsein zu verlieren, doch das war ihm nicht vergönnt.
    Finn krümmte sich auf dem Boden. Seine Kniescheibe war nach außen gerutscht und beulte das Hosenbein auf erschreckend groteske Weise aus.
    Sobald er das verletzte Bein auch nur rührte, hätte er vor Schmerzen heulen können. Finn biss sich in den Arm, um jeden Laut, der sich seiner Kehle entringen wollte, zu ersticken.

    Â»Das hätte gar nicht sein müssen, mein Kleiner, wenn du keine Dummheiten gemacht hättest.« Mit ruckartigen Bewegungen hob Juliane die Spritze. »Keine Sorge. Sobald das Medikament wirkt, schläfst du ein und spürst nichts mehr. Und wenn du erstmal abhängig davon geworden bist, wird dir eh alles gleichgültig sein.«
    Sie wird dich kriegen. Du kannst ihr nichts anhaben, wozu dann noch kämpfen, unnötige Qualen erleiden?
    Seine Finger ertasteten eine der Latten des zusammengebrochenen Regals. Er holte aus und schlug Juliane damit die Spritze aus der Hand.
    Â»Das ist nicht mehr lustig, Finn!« Ein Kreischen wie das einer verrosteten Kettensäge.
    Â»Hörst du mich etwa lachen?«
    Â»Du … hast es echt … zu weit getrieben, mein …« Juliane gurgelte, als wäre sie nicht mehr in der Lage, wie ein Mensch zu sprechen. Sie stakste zu der Spritze, dann begann ihr Körper zu zucken, als wäre er hohl, und jemand würde ihn wie ein Kleidungsstück anprobieren. Bis er

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