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Nachtseelen

Titel: Nachtseelen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Krouk Olga
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endlich verharrte. Gebeugt stand er da, einem Orang-Utan ähnlich, so dass die Finger beinahe den Boden streiften. Ein Knurren ertönte. Was auch immer jetzt darin lebte, Juliane war es nicht mehr.
    Das Ding wandte den Kopf, anscheinend ohne zu wissen, was es als Nächstes tun sollte, und knurrte erneut.
    Finn gelang es, den Blick von der Kreatur zu lösen und zum Ausgang zu schauen. Das war seine Chance.
Solange das Monster ihn nicht beachtete, konnte er fliehen! Er versuchte, sich vorwärtszuziehen. Doch schon bei der kleinsten Bewegung durchfuhr der Schmerz sein Bein. Finn biss die Zähne zusammen, um den Schrei zu ersticken, und stöhnte. Ihm drehte sich alles vor Augen. Gleich würde dieses Ding über ihn herfallen.
    Merkwürdigerweise tat die Kreatur nichts dergleichen, sondern rührte sich nicht von der Stelle und zischte etwas vor sich hin.
    Als im Keller plötzlich noch jemand erschien. Eine Frau. Klein und schlank, mit Sommersprossen und kurzen, zerwühlten Haaren, die ein wenig an ein gerupftes Huhn erinnerten. Sie trat aus einer dunklen Ecke, schälte sich langsam aus der Finsternis wie aus Nebelschwaden.
    Â»Hallo, Finn.«
    Das Monster sah die Unbekannte dumpf an und schaukelte seinen Körper vor und zurück wie hypnotisiert.
    Finn runzelte die Stirn. »Wer bist du?«
    Â»Hm. Was glaubst du denn?«
    Vor Schmerzen, die ihn peinigten, fiel ihm das Nachdenken schwer. Trotzdem fand sein Verstand eine Antwort: »Eine Hexe? Bist du eine Hexe? Was willst du von mir?«
    Â»Mich entschuldigen. Für das, was getan werden muss.«
    Â»Ich … verstehe nicht.«
    Â»Natürlich nicht. Deshalb nimm es einfach so an: Tut
mir leid. Sehr. Aber es gibt keinen anderen Weg.« Sie schaute zu der Kreatur. Zögerte. Befahl: »Töte ihn!«
    Finn keuchte auf und zuckte empor, spürte den Schmerz in seinem Bein, schrie auf und fiel zurück auf den Boden.
    Das Monster knurrte etwas, als wäre es unschlüssig. Die Augen der Frau blitzten auf. »Na mach schon! Deine Gebieterin ist nicht hier, um den Befehl zurückzuziehen. Und wenn eine Hexe zu dir spricht, musst du gehorchen. Also los, töte ihn!«
    Die Kreatur grollte und stürzte sich auf Finn. Sie hob ihn am T-Shirt an und schlug ihn gegen den Boden, mehrfach, bis sie von ihm abließ und schließlich eine Faust in seinen Brustkorb rammte. Etwas knackte, und er konnte nicht mehr atmen. In seinen Ohren begann es zu rauschen. Dann gelang es ihm, nach Luft zu schnappen, wobei es ihm vorkam, als würde ihm etwas die Lunge aufreißen. Es tat so verdammt weh! Dabei hatte er geglaubt, mit der Knieverletzung den Gipfel der noch ertragbaren Schmerzen erreicht zu haben.
    Die Kreatur hockte über ihm. Etwas Kaltes, Klebriges – ob Blut oder Speichel – tropfte auf sein Gesicht. Sein Kopf rollte zur Seite. Wenige Zentimeter von ihm entfernt lag das Gewehr. Er könnte es erreichen, wenn er den Arm ausstrecken würde. Wenn er überhaupt in der Lage wäre, sich zu rühren.
    Streng dich an. Gib nicht auf!
    Jeder Atemzug ein Kampf um ein Quäntchen Leben. Jede Bewegung eine Qual, ein nicht endender Schmerz.
Nicht aufgeben – wozu? Was konnte er schon ausrichten?
    Dennoch sammelte er seine letzten Kräfte, schob seine Hand der Waffe entgegen, und dann gelang es ihm tatsächlich, das Gewehr zu packen und es anzulegen.
    Er feuerte. Die Mächtige war das Ziel, doch die Kreatur schob sich dazwischen, als wäre dieses Ding gezwungen, seine Herrin zu beschützen. Die Schrotladung traf seine rechte Gesichtshälfte. Knochen und Gehirnstückchen spritzten in alle Richtungen. Das Monster taumelte, versuchte sich an der Wand festzuhalten und brach zusammen.
    War es vorbei?
    Finns Atmung wurde immer flacher und schneller, er bekam nicht genug Luft. Kalter Schweiß überzog sein Gesicht. Er würde ersticken, konnte nur hoffen, das Ende würde ihn schnell ereilen.
    Wie durch einen Schleier sah er zu der Hexe. »W-w-warum?«
    Sie lächelte. Traurig, so kam es ihm vor. Vielleicht tat es ihr tatsächlich leid. »Nur so kann die Welt gerettet werden. Du hast immer zuerst an andere gedacht, erst dann an dich selbst. Also tue es jetzt auch, mach es dir ein wenig leichter. Dein Tod wird nicht umsonst sein. Dein Tod ist die Rettung.« Mit diesen Worten verschwand sie.
    Ohne jegliche Gefühlsregung beobachtete Finn, wie sich die Finger der Kreatur reckten, wie sie

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