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Nachtseelen

Titel: Nachtseelen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Krouk Olga
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achten, der bestimmt Flecken auf seiner weißen Bügelfaltenhose hinterlassen würde. »Zuerst: Wir haben alles getan, um dich zu beschützen. Es war nur zu deinem Besten.«
    Alba schnaubte. Alle wollten sie schützen, aber hatte sich irgendjemand einmal gefragt, ob sie diesen Schutz brauchte? Ob es ihr gefiel, wie unter einer Glasglocke zu leben? Sie dämpfte ihren Gram. Zum Teil lag die Schuld ja bei ihr. Dass ihr dieses Dahinvegetieren nicht genügte, hätte sie viel früher begreifen sollen. Musste erst ihr Opa sterben, damit sie das verstand?
    Georg nahm einen Zeitungsausschnitt in die Hand, dann ballte er die Faust und zerknüllte das Papier. »Du hast damals bei diesem Hermann Herzhoff, deinem Großvater, gelebt. Er musste sich um dich kümmern, solange deine Mutter …« Er wiegte den Kopf. »… es
nicht konnte. Aber das tat er nicht. Statt auf dich achtzugeben, ist er seinen Hirngespinsten nachgelaufen.«
    Welchen? , lag es Alba auf der Zunge. Fremde, mystisch anmutende Worte spukten in ihrem Kopf: Metamorphe. Nachzehrer. Was hatte das zu bedeuten? Aber sie verlor keinen Ton, um Georg nicht zu unterbrechen. Schließlich wollte sie die ganze Geschichte hören.
    Â»Dann wurdest du entführt, zumindest dachten das alle. Zwei Tage warst du verschwunden. Deine Mutter hatte gerade Elmar Wagner kennengelernt, und man munkelte, die Entführer – man vermutete, dass mehrere Personen hinter der Sache steckten – wollten Geld von ihm erpressen. Aber es kam keine Forderung, gar nichts. Du warst einfach nur fort, bis man dich fand, wie du durch den Hafen irrtest. Deine Kleidung war zerrissen und blutüberströmt, du selbst so verstört, dass du kein Wort mehr gesprochen hast. Aber abgesehen von ein paar Prellungen fehlte dir nichts.«
    Alba zuckte zusammen, als hätte er sie geohrfeigt. Doch, etwas fehlte ihr, obwohl sie nicht benennen konnte, was. Ein Teil von ihr war fort. Der Teil mit Gefühlen, die sie nicht mehr zu empfinden vermochte. Gefühlen wie Liebe und Leidenschaft. Und ihre Erinnerungen.
    Â»Die Polizei fand Parallelen zwischen deinem Verschwinden und dem der anderen Kinder. Deine Mutter und Herr Wagner haben alles getan, um dich aus der Sache so gut wie möglich herauszuhalten. Was damals genau passiert ist, weiß bis heute keiner. Du warst das
letzte der verschwundenen Kinder und die einzige Überlebende.«
    Alba krallte die Finger in die Kiste unter ihr. Die einzige Überlebende – hatten die Entführer damals aufgehört, weil sie befürchteten, sie könnte die Polizei auf ihre Spur bringen? Sie dachte an die elf verblassten Namen auf dem schmutzig weißen Papier … und fühlte sich schuldig. Nicht gesprochen zu haben und sich nun an nichts mehr erinnern zu können. Wer auch immer dahintersteckte, er war auf freiem Fuß. Sie biss sich auf die Unterlippe, um nicht zu weinen. Tränen halfen nicht, weder ihr noch den anderen Opfern. Wenn sie ihre Schuld begleichen wollte, musste sie sich ihrer Vergangenheit stellen und der Spur folgen, die Hermann Herzhoff ihr hinterlassen hatte.
    Â»Die Polizei hat den Fall ad acta gelegt.« Mit der Fußspitze schob Georg Papiere beiseite, als suche er nach einem bestimmten Bericht, offenkundig aber erfolglos. »Als sich keine weiteren Vorfälle ereigneten, war klar, dass es ein tollwütiges Tier gewesen sein musste, das hier sein Unwesen getrieben hatte. Vielleicht war es gestorben, vielleicht weitergezogen. Genaueres wusste niemand.«
    Ein tollwütiges Tier? Daran glaubte er doch selbst nicht! Warum galten die Kinder denn einige Zeit als verschwunden und wurden erst nach Tagen gefunden? Was für ein Tier würde seine Opfer mitten in Hamburg in seinen Bau verschleppen? Und wie groß hätte dieses Wesen sein müssen? Nein, wenn es schon ein Tier gewesen sein sollte, dann eines, das Homo sapiens hieß.

    Â»Du hast nicht gesprochen, und bald konntest du dich auch nicht mehr an den Vorfall erinnern.« Alba spürte seine Hand auf ihrer Schulter – schwer, erdrückend. Diesmal zog sie sich nicht zurück, zu sehr in ihre Gedanken versunken. Georgs Monolog prasselte weiter auf sie ein: »Ich glaube, deine Mutter konnte es deinem Großvater nie verzeihen, dass er so etwas zugelassen hatte. Er hätte dich beschützen sollen.«
    Alba schloss die Augen. Also war ihr Alptraum in Wirklichkeit eine Erinnerung an die

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