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Nachtseelen

Titel: Nachtseelen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Krouk Olga
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um. Ein Teil der Beschriftung fehlte, und die Tinte war verblasst. In der oberen Ecke entzifferte sie »Spanien, 1956« und am abgerissenen
Rand »…ivas Sarmiento«. Sollte der Mann auf dem Bild derselbe sein, der sie angegriffen hatte, brauchte sie dringend irgendeine logische Erklärung oder die Adresse seines Schönheitschirurgen, der ihm so ein ausgezeichnetes Lifting verpasst hatte. Denn in knapp über fünfzig Jahren war er um keinen Deut gealtert.
    Alba legte das Foto beiseite. Darüber sollte sie später nachdenken, vielleicht würde sie aus den restlichen Zetteln etwas über die Verbindung zwischen ihm und ihrem Großvater erfahren. Aus dem Papierhaufen zog sie ein Zeitungsblatt hervor. Erneut wird ein Kind vermisst , lautete die Überschrift. In der Handschrift ihres Opas war ein Datum in eine Ecke gekritzelt, das mit der Zeit verblasst und kaum zu entziffern war. Alba runzelte die Stirn. Der Ausschnitt stammte aus einer Zeitung von vor zwölf Jahren.
    Der nächste Artikel – ein weiteres Kind, spurlos verschwunden. Sie sortierte die Ausschnitte nach Datum. Zuerst gingen die Journalisten davon aus, dass die betroffenen Kinder von zu Hause weggelaufen waren. Denn die meisten gehörten zu sozial schwachen Familien oder zu Eltern, die sich auf die eine oder andere Weise nicht um sie gekümmert hatten. Doch bald kamen die ersten Zweifel auf und erweckten die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit. Unruhe machte sich breit.
    Zu den Ausschnitten gehörten Hermanns Notizen. Alba las die kurzen Vermerke, ohne daraus schlau zu werden: Mit Sebastian geredet. – Mehr Fälle als bekannt? – Kein Werk der Nachzehrer.

    Sie forschte weiter in den Papieren. Von insgesamt elf Fällen war die Rede, die einander ähnelten und auf einen Serientäter schließen ließen.
    Jemand raubte Hamburger Kinder.
    Dann kamen die ersten Leichenfunde. Die Toten wurden an den unterschiedlichsten Orten entdeckt. Die Diagnose nach der Autopsie lautete: Tollwut. Zwar handelte es sich um eine bisher unbekannte Form der Krankheit, aber nun wurde behauptet, es gäbe keinen Entführer. Die Kinder wären ausgerissen und von einem oder mehreren kranken Tieren infiziert worden. Die Tollwut ginge in Hamburg um, beharrten die Zeitungen und suchten nach Verantwortlichen.
    Alba fand Kopien von Expertenberichten, Erläuterungen zur Tollwut und Aussagen der betroffenen Familien. Hermanns Notizen wurden rätselhafter: Kein üblicher Virus. Metamorphe? Unbedingt die Proben auftreiben! Auf einem anderen Blatt standen Namen – eine verblasste Reihe auf dem schmutzigen Papierweiß. Die toten Kinder, an die keiner mehr dachte, sobald die Aufregung abgeklungen war. Auch dieses Blatt legte Alba beiseite. Nicht zu dem Foto – sie hatte das Gefühl, das Bild des Mörders würde das Andenken an die Kinder beschmutzen. Wer weiß, vielleicht steckte er hinter den Entführungen, denn warum sonst lag sein Foto bei den Papieren?
    Sie sortierte weitere Dokumente. Es folgten seitenlange Ausführungen in Hermanns krakeliger Schrift, die sich mit irgendeinem wissenschaftlichen Zeug befassten.
Nach wenigen Sätzen gab Alba auf und blätterte sie nur durch, bis sie eine Kopie eines Polizeiberichts entdeckte.
    Ihr stockte der Atem, als sie den eigenen Namen las. Mehrere Sekunden lang starrte sie regungslos auf das Dokument, bevor sie begriff, was das bedeutete: Sie war eines der entführten Kinder!
    Es traf sie mit solch einer Wucht, dass ihr schwindelig wurde. Die Zeilen hüpften ihr vor den Augen, und der Sinn der Worte verflüchtigte sich, bevor er ihren Kopf erreichen konnte. Sie rieb sich die Schläfen. Zahllose Fragen überfluteten ihr Gehirn. Wann sollte das passiert sein? Wie? Warum? Und was hatte sie davor bewahrt, auf dem Zettel mit den anderen Namen zu landen? Warum lebte sie noch?
    Alba vergrub ihr Gesicht in den Händen. Das kann einfach nicht sein. Ich würde mich doch daran erinnern!
    Oder doch nicht?
    Hinter ihr quietschte eine Diele. Sie schreckte auf. Jemand kam auf den Dachboden geschlichen! Der Mörder?
    Sie dachte nicht nach, sie handelte, instinktiv, nur aus einem Impuls heraus. Ein Griff, und das Messer lag in ihrer Hand. Alba fuhr herum und warf es auf ihren Gegner, in der Hoffnung, sie würde das Ziel treffen.

Kapitel 7
    H immel, Alba!«
    Das Messer sauste einen halben Meter von Georg entfernt durch die Luft und schlug mit voller

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