Nachtseelen
verloren an Glanz.
»I-ich g-gehe.« Alba nutzte den Augenblick seiner Unachtsamkeit, schubste ihn zur Seite und rannte zur Wohnungstür. Sie hatte bereits die Klinke hinuntergedrückt und die Tür einen Spaltbreit aufgemacht, als Finn hinter sie trat und mit einem Stoà die Tür vor ihrer Nase zuknallte.
»Nein. Tust du nicht.« Er klang vollkommen ruhig. Gefasst, kalt, ohne Milde.
»Lass. Mich. G-g-g⦠gehen!«
»Nein«, sagte er noch ruhiger, noch gefasster, noch gefährlicher. »Ich kann nicht erlauben, dass du so bereitwillig in deinen Tod rennst.«
Evelyn trat in den Korridor. »Finn, bist du gänzlich übergeschnappt? So kenne ich dich gar nicht.«
»Bisher gab es auch keinen Grund, so zu sein.«
»Und was hast du jetzt vor? Sie gegen ihren Willen festzuhalten?«
»Wenn es sein muss â ja, denn das rettet ihr das Leben.«
»Ein wunderbarer Plan! Willst du dich zusammen mit ihr irgendwo verkriechen und warten, bis Linnea tot umfällt? Das könnte ein Weilchen dauern. Du weiÃt ja: Die Verbindung mit dem Seelentier macht einen lange jung und fit.«
»Verkriechen werde ich mich ganz sicher nicht. Aber ich bin vernünftig genug, um mir einzugestehen, dass ich allein keine Chance gegen die Königin habe. Deshalb muss ich mit Adrián reden. Er schuldet mir eh noch einen Gefallen. Wo ist er übrigens?«
Evelyn kaute auf ihrer Unterlippe. Ihre Augen funkelten. »Essen holen«, gab sie zögernd zurück und warf einen raschen Blick auf Alba.
Alba erschauderte. Hatte sie Hunger in den Rehaugen lodern sehen, gar Gier? Für einen Moment kam es ihr vor, als spiele die Frau ernsthaft mit dem Gedanken, sie zu verspeisen. Mit Haut und Haar, ohne sich damit aufzuhalten, das Mahl mit ihrem Messer in mundgerechte Stücke zu zerteilen.
»Dann warten wir auf ihn«, beschloss Finn.
Zorn flammte in Alba auf.
»Ich. Warte. Auf. Niemanden!«, presste sie hervor und riss wieder den Arm in die Höhe, doch diesmal fing er ihre Hand am Gelenk ab und drückte sie hinunter.
»Schlage mich nie wieder.«
Sein eiserner Griff tat ihr weh. Sie stöhnte auf und verzog das Gesicht. Er lieà sie los. »Keine Sorge, ich werde es dir so angenehm wie möglich machen. Du wirst meine Anwesenheit nicht länger als nötig ertragen müssen.« Mit diesen Worten verschwand er in einem der Zimmer. Alba rieb sich das Gelenk, auf dem sich Finns Finger weià abzeichneten.
Evelyn stöhnte. »So ein Dummkopf.« Auf einmal stand sie direkt vor Alba, obwohl Alba nicht gesehen hatte, wie sie sich bewegt hatte. »Komm, lass uns ins Wohnzimmer gehen. Ich würde dir gern einen Kaffee anbieten, aber leider habe ich keinen. Bei meinem ersten Besuch hier musste ich auch nur Leitungswasser trinken«, plapperte sie, als wäre nichts geschehen.
Was war das für ein Ort?, dachte Alba verbittert. Ein Clubhaus irgendwelcher Freaks? Wohl eher ein Irrenhaus.
Wut und Verzweiflung kochten in ihr auf. Sie kämpfte gegen den Drang an, alles zu zerschlagen, was zu Bruch gehen konnte, um mit den Splittern die Polstermöbel aufzuschlitzen. Erst auf dem Sofa ebbte das Verlangen danach ab und machte einer gewissen Mutlosigkeit Platz.
Evelyn legte ihr einen Arm um die Schulter, und Alba hatte nicht mehr den Willen, sich der Berührung zu entwinden. »Du bist in etwas ganz Schlimmes hineingeraten. Aber leider hat Finn Recht. Hier bist du vorläufig in Sicherheit. Und da drauÃen«, sie deutete zum Fenster, das auch in diesem Raum mit einer Gardine
verhängt war, die kein Licht hereinlieÃ, »bringst du nicht nur dich in Gefahr, sondern vielleicht alle, die dir nahestehen.«
Was für wunderbare Aussichten! Sollte sie deshalb freiwillig zu einer Gefangenen werden? Teilnahmslos starrte sie vor sich hin. Was nun? Wie lange sollte sie hierbleiben, und was würde danach geschehen? Diese Menschen â waren es nun welche oder doch nicht? â würden sie kaum gehen lassen. Sollte sie freikommen, würde sie alle anzeigen, darauf könnten sie Gift nehmen.
Evelyn strich ihr das Haar aus dem Gesicht und fuhr mit dem Zeigefinger über ihre Wange. »Nein. Niemand wird angezeigt. Es wird alles gut, das verspreche ich dir. Wenn das hier vorbei ist, werden wir dir die Erinnerungen an all das nehmen. Dein Leben wird genauso wie zuvor. Keine Metamorphe. Keine Nachzehrer. Keine Dunkelheit.«
Mit
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