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Nachtseelen

Titel: Nachtseelen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Krouk Olga
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zu drücken. Doch in ihrer Position war es ihr unmöglich, ihn damit ernsthaft zu verletzen.
    Der Krach alarmierte auch Finn, der in den Flur gestürzt kam. »Adrián! Lass sie sofort in Ruhe!«
    Der Mann knurrte, ohne seinen Griff um Albas Schulter zu lockern: »Du hast genau zwanzig Sekunden, um mir zu erklären, was du dir dabei gedacht hast, hierherzukommen und dazu noch einen Menschen – sie! – mitzubringen.« Er sprach mit einem leichten Akzent, spanisch oder portugiesisch vielleicht. Das milderte die Härte seiner Worte, die Ernsthaftigkeit der Situation aber keinesfalls.
    Das Weiß in Evelyns Augen leuchtete blutrot auf. Zumindest
glaubte Alba, es flüchtig gesehen zu haben, war sich aber nicht sicher.
    Â»Schluss jetzt.« Die Frau legte eine Hand auf Alba, mit der anderen stieß sie gegen die Brust des Mannes. Die Geste wirkte beinahe spielerisch. Dennoch riss eine ungeahnte Kraft den Mann davon und schleuderte ihn gegen den Garderobenschrank. Die Tür zersplitterte, und er landete im Inneren des Möbelstückes, begraben unter Mänteln und Jacken, die er im Fall heruntergerissen hatte.
    Â»Evy! Caramba , was soll das? Und vor allem: Wie machst du das? Ich will es auch können.«
    Â»Mit Fingerspitzengefühl. Ich weiß, das ist für dein südländisches Temperament ein Fremdwort«, erwiderte seine Angebetete ruhig und nahm Alba die Holzleiste aus der Hand. Ȇbrigens, ihn damit aufzuspießen würde nichts bringen. Er ist kein Vampir, falls du das gedacht hast.«
    Alba schluckte hörbar. Das Adrenalin, das ihr beim Anblick des Mannes durch die Adern schoss, schwand, und ihre Knie begannen zu schlottern. Sie verfluchte sich für diese Schwäche und hoffte, die anderen würden es nicht merken. Denn wenn sie diesmal stürzte, würde Finn sie nicht auffangen. Zumindest nicht der Finn, der einige Meter entfernt von ihr stand.
    Â»E-er … e-er ha-at …« Sie rang um Worte, spähte zu Finn und wartete darauf, dass er sich, wie Georg es immer tat, für sie entschuldigte. Aber das machte er nicht.
    Sie fing den Satz von vorn an. Ihre Kehle schmerzte
vor Anstrengung, als wäre sie zu eng, um die Laute durchzulassen: »Er hat meinen Großvater umgebracht.«
    Â»Was?«, hauchte Finn.
    Â»He-hermann H-h-h…«
    Â»Herzhoff?«, beendete Evelyn es für sie mit einer leichten Vibration in der Stimme.
    Eine Bombe hätte keine verheerendere Wirkung hervorgebracht. Alle starten Alba an: Finn erschüttert, Evelyn beinahe bange und Adrián – als stünde ein Geist vor ihm.
    Â»Er war dein Opa?« Der Mann rappelte sich unter den Kleidungsstücken auf. Er hob eine Jacke auf, doch sie rutschte ihm aus den Fingern seiner Rechten. » Esta maldita mano! « Er massierte sich die Handfläche und versuchte die Faust zu ballen, was ihm nicht ganz gelang. Einige seiner Nägel sahen buckelig, nicht richtig gewachsen aus. Auch die Finger wollten ihm anscheinend nicht so gehorchen, wie er es gern hätte.
    Â»Lass die Sachen liegen«, erwiderte Evelyn. »Und bevor du wieder auf die Palme gehst: Nein, ich behandele dich nicht wie einen Krüppel.«
    Der Mann seufzte, seine Aufmerksamkeit galt wieder dem Hauptthema. »Dann bist du Alba?« Er sprach den Namen leise und mit einer Zärtlichkeit aus, die ihr äußerst merkwürdig, gar fehl am Platz vorkam.
    Sie nickte.
    Â»Alba Wagner?« Er konnte es nicht glauben – nein, er wollte es nicht.
    Erneut musste sie nicken. Bloß nicht die Nerven verlieren!
Mein Gott, vor ihr stand der Mörder, der auch sie getötet hätte, wenn sie ihm nicht entwischt wäre. Und nun plauderte er mit ihr wie mit einer alten Bekannten.
    Der Druck auf ihrer Stirn verursachte ziehende Schmerzen in ihrem Schädel. Sie wusste, woher diese stammten. Der Mann las ihre Gedanken, oder zumindest versuchte er es.
    Â»Es tut mir leid«, sagte er, und etwas an seiner Haltung oder auch an seinem Timbre bewegte Alba dazu, wenn schon nicht an seine Aufrichtigkeit zu glauben, ihn doch wenigstens anzuhören. Was blieb ihr anderes übrig?, redete sie sich ein, um diese seltsame Wirkung des Fremden auf sie zu erklären.
    Er senkte den Kopf. »Ich dachte mir schon, dass du mich für den Täter halten würdest. Ärger mit der Polizei war das Letzte, was ich damals brauchen konnte. Mir blieb nur ein Ausweg: Deine Erinnerungen so zu

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