Nachtseelen
stimmten sie melancholisch. Bei Georg konnte sie dergleichen nicht finden. Hatte sie wirklich gehofft, Finn könnte ihr geben, wonach sie sich heimlich sehnte? Sie warf ihm einen verstohlenen Blick zu. Finn erwiderte ihn, doch in seinen Augen las sie ⦠nichts. Er hielt ihrem Blick stand,
was Alba dazu veranlasste, schnell die Wimpern zu senken. Nein, von ihm durfte sie nichts erwarten.
Ihr wurde bewusst, dass sie auf die Zeitung stierte, die Evelyn beiseitegelegt hatte. Ein Artikel zog ihre Aufmerksamkeit auf sich und lieà sie erstarren: »Patrick (6) wurde mit Bisswunden tot aufgefunden. Die Diagnose: Tollwut. Wütet ein krankes Tier in Hamburg?«
Das Herz klopfte ihr bis zum Hals. Das konnte einfach nicht wahr sein. Oder doch?
Es fing wieder an!
Kapitel 14
I n dem Kellerraum mit den Versorgungsanschlüssen blieb Linnea stehen. In den Händen hielt sie ein Tablett mit einem Glas Wasser und einer Schale, gefüllt mit Schokoplätzchen, die sie gerade gebacken hatte. Die Kekse glühten orange-rot wie Märchentaler und verströmten ein Aroma, dem Linnea selbst kaum widerstehen konnte. Hoffentlich schmeckten sie genauso lecker, wie sie dufteten.
Wie immer lauschte Linnea, ob sich noch jemand im Keller herumtrieb. Nicht mit den Ohren, sondern mit den FüÃen, an denen sie Socken oder Mokassins aus dünnem Leder zu tragen pflegte. Mit fortschreitendem Herbst würde sie auf festes Schuhwerk ausweichen müssen. Bereits jetzt fühlten sich ihre FüÃe wie zwei Eisklumpen an. Doch sie verabscheute Schuhe, in denen sie sich gänzlich taub und somit ausgeliefert fühlte. Auf blanken Sohlen dagegen registrierte sie die kleinste Bodenerschütterung, wusste immer, wer sich ihr näherte.
Und was sagte der Boden jetzt? Er schwieg. Also lungerte keiner in der Nähe herum, um Geheimnisse zu erspähen, die nicht für Menschenaugen bestimmt waren.
Mit einer Hand balancierte Linnea das Tablett, mit der anderen tastete sie an der Wand entlang, bis sie einen mannshohen Metallkasten gefunden hatte. Im Keller besaÃen die Gegenstände und Wände fast die gleiche Temperatur, so vermochte sie kaum etwas zu erkennen. Nur die Rohre mit warmem Wasser schimmerten gelblich unter der Decke und hoben sich von dem Blau-Einerlei ab.
Sie stellte das Tablett ab und schob den Metallkasten beiseite, der einem Unwissenden den Eindruck vermittelte, unverrückbar zu sein. Hinter der Metalltür erstreckte sich der Tunnel zum Pesthof. Sie musste nichts sehen, um sich dort zurechtzufinden, denn sie kannte jeden Stein in den Gewölben.
Linnea betrat eine Treppe, die nach unten führte, schob den Kasten zurück und schloss die Tür ab. Bereits wenige Stufen später tränkte die Feuchtigkeit ihre Socken. Sie musste aufpassen, um nicht auszurutschen, denn die klammen FüÃe verloren merklich an Beweglichkeit.
Das Tablett! Verdammt. Also â zurück, den Metallkasten bewegen und die Sachen holen. Wieder kitzelte der verführerische Duft ihre Sinne, und fast hätte sie von den Keksen genascht. Ob das ihrer Figur gut bekäme? Das wusste sie nicht. Als sie noch sehen konnte, empfand sie sich als hübsch, doch was die Jahre aus ihr gemacht hatten, blieb ihr verborgen. Denn ihr Spiegelbild besaà keine Wärme und war für sie unsichtbar.
Linnea beschloss, nicht daran zu denken. Gut möglich,
dass sie hässlich geworden war. Egal. Ihr Duft vermochte trotzdem jeden Metamorph zu verführen. Wie diese Plätzchen. Nur Conrad würde er ihr nicht zurückbringen.
Sie begann den Abstieg in ihr Reich, der tief unter die Erde führte. Das meiste davon gehörte nicht zu den Originalbauten des Pesthofes, dennoch hatte sie darauf geachtet, die zusätzlichen Hallen in der alten Tradition zu errichten. Hier befand sich ihr Refugium, ihre Welt, die sie mit den anderen aus ihrer Gemeinde teilte. Ein Zufluchtsort für jeden, der Hilfe brauchte. Hier schöpfte sie Kraft, denn das Elend der Gefangenen erinnerte sie jeden Tag daran, was sie schon geleistet hatte und wie viel sie für ihre Gemeinde noch leisten konnte.
Erst nach mehreren Minuten erreichte sie das Herz ihres Verstecks. Sie konnte das Gewölbe um sich herum nicht sehen, spürte aber mit jeder Pore, wie groà und imposant es sich vor ihr erstreckte. Warum es also nicht genieÃen, ein klein bisschen stolz auf die eigene Leistung sein?
Der Weg zu ihren privaten Hallen führte durch
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