Nachtseelen
damals nicht gelogen, und er würde es auch heute nicht tun.
Sie fühlte sich geborgen in seiner Umarmung, schmiegte ihre Wange an seine Brust.
Dann sprang er.
Der Boden des Hinterhofes schoss ihr entgegen, doch der Aufprall folgte nicht. Wie eine Katze federte er ab, lief einige Schritte vom Haus fort und legte Alba nieder.
»Es ist vorbei, du bist in Sicherheit.«
Sie lächelte. Durfte sie nun endlich einschlafen? Ohne Träume, ohne Wirklichkeit â¦
»Nein, nein! Bleib hier, du darfst jetzt nicht aufgeben!«
Sie lächelte immer noch. Er musste sich um sie nicht sorgen. Es würde ihr gutgehen, dort, wohin sie glitt. Doch er lieà sie nicht fort. Alba schmeckte seine Lippen auf ihrem Mund.
»Hey, lass sie sofort in Ruhe!«
Finn? Wo kam er denn her?
Adrián wurde zur Seite gestoÃen. Finns Gesicht tauchte in Albas Blickfeld auf. »Was ist los? Was hat er dir angetan?«
So viele Fragen ⦠Ihre Lider wurden immer schwerer, bald war sie nicht mehr in der Lage, sie offen zu halten. Es forderte zu viel Kraft. Kraft, von der sie nicht genug hatte.
»Oh nein. Alba! Kannst du mich hören? Bleib bei mir, bitte! Gib nicht auf. Es wird alles gut.« Sie spürte seine Hände auf ihrem Gesicht, hörte das Flehen in seiner Stimme. Sie wünschte, sie könnte ihm noch sagen, dass sie ihn mochte. Trotz allem.
»Wenn du willst, dass alles gut wird, dann lass mich ran!« Wieder Adrián. »Ich kann Lebensenergie nicht nur
nehmen, sondern auch geben. Und sie braucht jetzt welche. Dringend!«
Finn erwiderte etwas, doch Alba konnte ihn nicht mehr hören. Ihr Kopf fühlte sich an wie in Watte gepackt, bis sie wieder den Kuss spürte.
Sie schwebte, wollte endlich fortgleiten, doch etwas lieà sie nicht los. Nadeln, wie sie sie auch bei Evelyns Kuss hatte erdulden müssen, stachen auf ihre Haut ein, überall. Doch diesmal war es, als würde endlich Blut durch ihre eingeschlafenen GliedmaÃen sprudeln. Sie hielt dieses Prickeln kaum aus, wollte sich schütteln und aufstehen, während Adrián sie gegen den Boden drückte.
Ihr Blick klärte sich. Sie begann, die Welt um sich herum wieder zu registrieren.
Sie war zurückgekehrt.
Schwer atmend löste Adrián sich von ihr und musterte ihr Gesicht. »Ist alles in Ordnung?«
Alba nickte erstaunt. Was war mit ihr überhaupt los? Geschah es wirklich? All diese Dinge, von denen sie vor wenigen Wochen noch nichts gewusst hatte.
Mit einem Satz sprang Adrián auf die Beine. »Ich bin gleich wieder da. Evelyn ist noch in der Wohnung.«
Eine Explosion erschütterte alles ringsherum. Finn und Adrián blickten zum Haus, doch man konnte kaum etwas erkennen, auÃer einen Schwall Rauch und Funken, die in den dunklen Himmel stoben. Glas und Schutt regneten zu Boden. Alba richtete sich auf. Wie war das möglich? In der Wohnung gab es nichts, was
explodieren konnte. AuÃer, jemand war dorthin gelangt und hatte alles in die Luft gejagt. Doch das würde schon an Zauberei grenzen, oder nicht?
Der Nachzehrer machte einen Schritt auf das Haus zu. Finn packte ihn am Arm und hielt ihn zurück. »Es ist zu spät. Wir können nichts mehr für Evelyn tun.«
»Lass mich los!«, brüllte Adrián und schleuderte Finn zur Seite, der mehrere Meter durch die Luft flog und so hart gegen die Wand des Hauses prallte, dass etwas Putz auf ihn hinunterrieselte. Noch bevor Finn sich aufrappeln konnte, kletterte Adrián am Gebäude hoch und verschwand aus Albas Blick.
Finn kam auf die Beine und fluchte. Dann humpelte er zu ihr und streckte ihr seinen Arm entgegen. »Komm, wir müssen hier weg.«
Alba stand auf, ohne seine Hand zu ergreifen. Wie gut, dass sie in ihrem Delirium nichts gesagt hatte, was ihr jetzt hätte peinlich werden können. Sie ärgerte sich und verfluchte sich selbst für das Durcheinander ihrer Gefühle. Ach, wie verwirrend das alles war! Wie unglaublich intensiv â¦
»Wir sind in Gefahr«, flüsterte er. »Schau da â Metamorphe!«
Alba drehte den Kopf zur Seite und erblickte die Katze, die an den Müllcontainern entlangkroch. Doch das Tier war nicht allein. Weitere Bestien schlichen sich heran, versuchten sie zu umkreisen. Dunkle Schatten in der Nacht, kaum in der Finsternis auszumachen.
Im Durchgang zur StraÃe erkannte sie Micaela. Nicht
vom Gesicht her, sondern von der Statur. Und die rauchige Stimme:
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