Nachtsplitter
Jakob mit einem schnellen Blick, während er demonstrativ den Arm um meine Hüfte legte und seine
Finger unter meinen Nietengürtel schob. »Hast du mir gar nicht erzählt.«
»Hab ich wohl vergessen.« Ich war plötzlich genervt. Was sollte dieses besitzergreifende Getue? Ich konnte es nicht leiden,
wenn Markus mich wie sein Eigentum behandelte. Ich machte einen Schritt zur Seite, sodass er mich loslassen musste, trank
einen Schluck Bier und tat so, als würde ich sein Stirnrunzeln nicht bemerken. Das Bier war lauwarm und schmeckte abgestanden.
Trotzdem tat der bittere Geschmack auf der Zunge gut.
»Markus.« Markus schüttelte Jakobs Hand. »Und? Wie gefällt's dir hier so?«
Jakob zuckte mit den Schultern. »Kann ich noch nicht sagen. Wir sind erst vor einer Woche hergezogen.«
»Wo hast du denn vorher gewohnt?«, wollte Pia wissen.
»In Süddeutschland. Ein kleines Kaff in der Nähe von Rosenheim, kennst du bestimmt nicht.«
»Ist dein Vater versetzt worden?«, fragte Pia weiter. Ich musste beinahe grinsen. Pia konnte ziemlich hartnäckig sein. Aber
Jakob ließ sich nicht so leicht aushorchen.
»So was Ähnliches«, antwortete er knapp.
»Na dann – darauf, dass du dich schnell bei uns einlebst.« Markus hob seinen Becher. »Prost!«
Wir stießen an und tranken. Die Band hatte ihren Auftritt inzwischen beendet und war in den Backstagebereich verschwunden.
Eine Handvoll Fans stand noch vor der Bühne, klatschte und pfiff hartnäckig. Aber offenbar war keine Zugabe geplant. Gedudel
vom Band setzte ein, angenehm leise nach dem Heavy-Metal-Sound. Der Andrang an den Getränkebuden nahm zu, weil sich alle in
der Pause mit Bier versorgen wollten. Grölende Festivalbesucher schoben sich an uns vorbei und ich machte noch einen Schritt
zur Seite, um nicht angerempelt zu werden.
Markus unterbrach das kurze Schweigen, das sich zwischen uns ausgebreitet hatte. »Hoffentlich ist die nächste Band besser.«
»Wer spielt denn gleich?«, fragte Pia.
Markus zog einen zerknitterten Zettel aus seiner Hosentasche. »
Jumping Fish
. Kenn ich nicht. Aber danach spielt
XXL
, die will ich unbedingt sehen. Die sollen richtig gut sein.« Er steckte den Zettel wieder weg.
»Jetzt wird sowieso erst mal umgebaut«, sagte Pia. »Sollen wir woanders hingehen, bis die nächste Band anfängt? Vielleicht
ist nachher mehr los.«
Markus warf mir einen fragenden Blick zu. Ich zuckte mit den Schultern. »Von mir aus.« Im Grunde war es mir ziemlich egal,
wo wir herumhingen.
»Kommst du mit?« Pia sah Jakob von der Seite an.
Er zögerte kurz und ich ging davon aus, dass er Nein sagen würde. Doch dann nickte er. »Okay.«
Wir liefen den Sandweg durch den Wald zurück bis zur Autobahnbrücke. Der Weg war nicht beleuchtet. Die Lichter vom Festivalplatz
verblassten allmählich und silbrig weißes Mondlicht sickerte zwischen den Bäumen hindurch. Uns kamen jede Menge Leute entgegen.
Nachher würde definitiv mehr los sein. Vielleicht kam dann endlich richtig Stimmung auf. Bisher war der Abend ziemlich lau
verlaufen.
4
Wir hingen auf der Autobahnbrücke herum und schlugen die Zeit tot. Ich saß neben Pia auf dem Asphalt, das Geländer im Rücken.
Genau genommen war es hier genauso öde wie auf dem Festivalplatz, aber das störte niemanden. Das Bier war längst alle. Pia
zog etwas aus ihrem Rucksack.
»Seht mal, was ich hier habe!« Sie schwenkte eine Weinflasche. »Der gute Lambrusco vom Supermarkt. Möchte jemand einen Schluck?«
Sie öffnete den Schraubverschluss und reichte mir die Flasche. Ich trank als Erste, dann gab ich den Wein an Jakob weiter,
der neben mir am Geländer lehnte. Markus und er rauchten und unterhielten sich über Belanglosigkeiten. Machten dumme Witze,
redeten ein bisschen über Musik, Filme undFußball. Bildeten Silben, Wörter und Sätze, ohne wirklich etwas zu sagen. Ich hörte nur mit halbem Ohr zu. Trotzdem registrierte
ich, dass Jakob nicht viel von sich preisgab. Er ließ hauptsächlich Markus reden. Markus' Stimme klang weich, die Wörter aus
seinem Mund verwaschen. Wie immer, wenn der Alkohol zu wirken begann. Meistens wurde er irgendwann furchtbar rührselig, schwor
mir ewige Liebe und versicherte immer wieder, dass ich seine absolute Traumfrau sei. Ich wusste jetzt schon, dass ich heute
keine Lust darauf hatte.
Ich zog mein Handy heraus und filmte den grauen Asphalt, auf dem ich saß. Das Geländer gegenüber, dahinter die Autobahn. Weiße
und rote Lichter
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