Nachtsplitter
professionellen Dealern, die sich die Preise nicht kaputt machen lassen
wollen, oder einfach irgendwer, der Markus oder Tom eins auswischen will.
Außerdem war Markus letztes Jahr schon mal mit Gras erwischt worden. Bei einer Polizeikontrolle, als er gerade mit Tom aus
dem
Rock Café
kam. Das war vor unserer Zeit gewesen, aber er hatte mir davon erzählt. Zum Glück hatte er nicht viel dabei, darum bekam er
keinen großen Ärger. Doch beim nächsten Mal würde das anders sein.
Deshalb wollte ich, dass Markus ausstieg. Bevor es zu spät war und er richtige Probleme bekam. Aber er zögerte den Schlussstrich
immer wieder hinaus. Er war einfach zu feige, Klartext mit Tom zu reden.
»Hast du endlich mit Tom gesprochen?«, fragte ich.
»Ich bin raus aus der Sache. Endgültig. Zufrieden?« Markus bückte sich, griff nach der Weinflasche und trank einen großen
Schluck. Ein paar Leute aus unserer Schule liefen über die Brücke in Richtung Festivalgelände. Sie hatten Bierflaschen in
der Hand, lachten und grölten. Dann verschwand der Pulk im Wald jenseits der Brücke und es wurde wieder still. Abgesehen von
den Autos, die in unregelmäßigenAbständen unter uns entlangrasten. Und von der Musik, die scheppernd und verzerrt vom Festivalplatz zu uns herüberwehte.
»Warum willst du nicht mit mir schlafen, Jenny?«, fragte Markus plötzlich. »Wovor hast du Angst?«
Ich schluckte. »Ich hab vor gar nichts Angst.« Meine Stimme versagte. Er war so verdammt nah dran an der Wahrheit.
Markus nahm mein Kinn und hob es an, sodass ich ihm in die Augen sehen musste. »Sprich mit mir! Ich will doch nur wissen,
was los ist«, sagte er sanft. Sein blauer Blick durchleuchtete mich. Fast hätte ich ihm alles erzählt. Dann machte ich mich
mit einem Ruck los. Ich wollte nicht darüber reden. Ich wollte nicht einmal daran denken.
»Was soll schon los sein?«, schnauzte ich ihn an. »Wenn du jemanden fürs Bett brauchst, such dir lieber eine andere.«
Ich ließ Markus stehen und rannte davon. Er rief mir noch etwas nach, aber ich drehte mich nicht um. Tränen liefen mir über
das Gesicht. Ich war so geladen, dass ich am liebsten laut geschrien hätte. Ich war sauer auf Markus, weil er seine Finger
nicht von mir lassen konnte, und ich war sauer auf mich selbst, weil ich mich wie eine absolute Oberzicke benahm.
Aber am schlimmsten war, dass ich tief in meinem Inneren genau wusste, wem meine Wut tatsächlich galt. Ich hatte geglaubt,
ich hätte diese Geschichte längst überwunden. Aber das stimmte nicht. Die Wutwar immer noch da. Sie brodelte in mir und riss alte Wunden wieder auf. Es tat so weh, dass ich nach Luft schnappte und kurz
stehen blieb, um wieder zu Atem zu kommen und meine wirren Gefühle in den Griff zu kriegen.
Ich hatte jetzt genau zwei Möglichkeiten: Ich konnte mich geschlagen geben, den Abend abhaken, nach Hause fahren und mich
unter die Bettdecke verkriechen. Oder ich riss mich zusammen, überwand diesen Tiefpunkt und fing endlich damit an, Spaß zu
haben.
Ich bin keine gute Verliererin. Und der Weg des geringsten Widerstands hat mich noch nie gereizt.
Grimmig wischte ich mir die Tränen aus dem Gesicht und fuhr mir mit beiden Händen durch die Haare. Dann ging ich weiter durch
die Dunkelheit, immer der Musik nach.
Ich hatte ein Recht auf diesen Abend. Ich hatte ein Recht darauf, mich hier und jetzt zu amüsieren. Und genau das würde ich
tun.
5
Der Platz war rappelvoll. Ich drängelte mich zwischen den Festivalbesuchern hindurch und versuchte, Pia zu finden. Hoffentlich
war sie nicht schon mit Jakob irgendwo in den Büschen verschwunden. Ichentdeckte ein paar Leute aus unserem Jahrgang. Jemand winkte mir zu. Es war Paul. Ich wollte an ihm vorbeischlüpfen, aber
er hielt mich am Ärmel meiner Jeansjacke fest.
»Hey Jenny, wo ist Pia?«
Ich zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung. Hab sie länger nicht mehr gesehen.«
»Sag ihr, dass ich sie suche, okay?« Paul sah mich bittend an. Offenbar stand er wirklich auf Pia. Armer Kerl.
»Klar, mach ich.« Ich lächelte unverbindlich und schob mich weiter. Je näher ich der Bühne kam, desto voller wurde es. Die
Band spielte melodischen Pop und vor mir wogte ein Meer aus wippenden Köpfen. Ich stellte mich auf die Zehenspitzen, konnte
Pias blonden Haarschopf aber nirgendwo entdecken. Wie auch? In dem Gedrängel war es beinahe unmöglich, jemanden zu finden.
Die Luft staute sich zwischen den Menschen, Schweißgeruch
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