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Nachtsplitter

Nachtsplitter

Titel: Nachtsplitter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maja von Vogel
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zu schnell löste er seine Lippen von meinen.
    »So war das?«, flüsterte ich.
    Er nickte. »Genau so.«
    Irgendwann gingen wir weiter. Wie von selbst verflochten sich unsere Finger wieder ineinander. Es waren nur wenige Minuten
     verstrichen und doch war alles anders. Die Sonne schien plötzlich heller und die Luft war klarer. Als hätten sich meine Sinnegeschärft. Ich nahm das Gezwitscher der Vögel wahr und roch das brackige Flusswasser.
    Ich hätte ewig so weiterlaufen können, schweigend, meine Hand in Jakobs. Aber es gab noch ein paar offene Fragen. Ich holte
     tief Luft. Jetzt wollte ich alles wissen.
    »Was haben wir im Wald gemacht?«
    »Du wolltest unbedingt zum See. Ich hab versucht, dich aufzuhalten, aber du bist immer weitergerannt.« Jakob grinste. »Dafür
     dass du total betrunken warst, warst du ganz schön schnell.«
    »Und dann? Was ist auf der Wiese passiert?«
    »Du erinnerst dich daran?« Ein Schatten fiel auf Jakobs Gesicht.
    »Nicht so richtig. Ich weiß, dass da eine Wiese war. Aber ich weiß nicht mehr, was dort geschehen ist.«
    »Nichts«, sagte Jakob. »Auf der Wiese ist gar nichts geschehen.«
    »Wirklich nicht?« Ich war mir sicher, dass Jakob mir etwas verschwieg.
    Er seufzte. »Okay, wenn du es unbedingt wissen willst: Dir wurde plötzlich schwindelig und du musstest dich übergeben. Du
     hast deinen Rock vollgekotzt. Und meine Schuhe.«
    »Ehrlich?« Ich stöhnte. »O Gott, sag bitte, dass das nicht wahr ist.«
    Jakob grinste. »Du wolltest es unbedingt wissen, also hör auf zu jammern.«
    »Und dann?«, fragte ich kleinlaut. Dabei wollte ich eigentlich gar nichts mehr hören.
    »Ich hab dich zu meinem Auto gebracht. Wir haben uns geküsst. Irgendwann bist du eingeschlafen.«
    »Warum hast du mich allein gelassen? Als ich aufgewacht bin, wusste ich nicht, wo ich war. Ich hab totale Panik gekriegt.«
    »Das wollte ich nicht.« Jakob drückte wieder meine Hand. »Ich hab nach deiner Jacke gesucht. Du hattest sie im Wald verloren.«
    »Ach so.«
    Es war alles ganz einfach. Und ich hatte mir so viele Gedanken gemacht. Ich hatte mich zwischendurch sogar gefragt, ob ich
     vielleicht irgendetwas mit dem Unfall zu tun hatte. Dieses merkwürdige Schuldgefühl hatte mir einfach keine Ruhe gelassen.
     Dabei war ich die ganze Zeit mit Jakob zusammengewesen. Mir fiel eine tonnenschwere Last vom Herzen. »Willst du sonst noch
     etwas wissen?«, fragte Jakob. »Oder ist jetzt alles klar?«
    Ich lächelte. »Alles klar.«
    Den restlichen Weg legten wir schweigend zurück. Viel zu schnell erreichten wir die Straße, die zu unserem Wohngebiet führte.
     Als wir aus dem Schatten der Bäume traten, ließ ich Jakobs Hand los. Ich war plötzlich verlegen. Im grellen Sonnenlicht schien
     falsch zu sein, was sich gerade noch ganz selbstverständlich angefühlt hatte.
    »Ich muss da lang.« Ich deutete mit dem Daumen über meine Schulter.
    »Ich weiß.« Jakob wurde von der Sonne geblendet und kniff die Augen zusammen.
    »Hör mal . . .«, begann ich, doch dann wusste ich nicht weiter. Was sollte ich sagen?
    Es war wunderbar, dich zu küssen, aber ich bin schon mit jemandem zusammen?
    Lass uns einfach Freunde bleiben?
    Ich glaube, ich hab mich in dich verliebt, aber ich muss erst die Sache mit Markus richtig beenden?
    Das klang alles so abgedroschen.
    »Schon gut«, sagte Jakob. »Du bist mit Markus zusammen. Ich weiß.«
    »Das mit Markus ist gerade ziemlich kompliziert«, begann ich. »Ich weiß nicht mal, ob wir überhaupt noch zusammen sind. Außerdem
     . . .« Ich wollte es ihm erklären, doch dazu hätte ich selbst erst mal verstehen müssen, was mit mir los war. »Außerdem mache
     ich so was normalerweise nicht«, murmelte ich.
    »Was machst du normalerweise nicht?«, fragte Jakob.
    »Mich mit einem Jungen betrinken, den ich kaum kenne, und zu ihm ins Auto steigen. Zweigleisig fahren.« Ich holte tief Luft.
     »Ich kann so was nicht besonders gut.«
    Jakob schien zu überlegen. »Manchmal gerät man in Situationen, mit denen man nicht klarkommt.Und dann tut man plötzlich Dinge, die man nie für möglich gehalten hätte.«
    Er lächelte etwas wehmütig und ich fragte mich, ob er gerade von mir redete oder von sich selbst. »Du kannst nicht ungeschehen
     machen, was passiert ist. Du kannst nur versuchen, damit zu leben.« Er fuhr mit dem Finger sanft über meine Wange. »Mach's
     gut, Jenny.«
    Als er fortging, hatte ich plötzlich einen dicken Kloß im Hals. Es fühlte sich an wie ein Abschied für

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