Nachtsplitter
abgewiesen hatte. Enttäuscht,
sauer, betrunken. Die Brücke leer, auf der Autobahn kaum Verkehr. Eine leere Flasche in seiner Hand. Wut ablassen, Druck abbauen.
Weit ausholen, die Sehnen und Muskeln am Arm anspannen. Die Flasche fliegt durch die Luft, dreht sich um ihre eigene Achse,
kommt ins Trudeln, verschmilzt mit der Dunkelheit. Dann ein lauter Knall, Bremsen quietschen, es scheppert, als Blech auf
Blech trifft und das Auto wie in Zeitlupe über die Leitplanke fliegt . . .
»Hör mal, Jenny, du bist völlig auf dem Holzweg.« Pias nüchterne Stimme holte mich in die Wirklichkeit zurück.
»Was?« Ich musste zweimal blinzeln, bevor das Bild des zerstörten Wagens in meinem Kopf verblasste.
Pia sah mich fest an. »Markus hat nichts mit dem Unfall zu tun. Er war zu der Zeit nicht mal auf der Brücke.«
»Und woher willst du das so genau wissen?«
Sie seufzte. »Weil ich ihn gesehen habe.«
»Du hast ihn gesehen?«, fragte ich misstrauisch. »Wo?«
»Auf dem Festivalgelände. Hinter der Bühne.«
»Hinter der Bühne?«, wiederholte ich. »Was hatte er denn da zu suchen?« Ich hatte keine Ahnung, worauf Pia hinauswollte.
»Er hat da was verkauft . . .« Pia verstummte.
Ich hätte sie am liebsten geschüttelt. »Wovon redest du? Was hat Markus verkauft?«
»Kannst du dir das nicht denken?«, fragte sie etwas unwillig.
Doch, das konnte ich. Aber ich wollte es nicht glauben. Das durfte einfach nicht wahr sein. »Du musst dich getäuscht haben«,
sagte ich. »Markus verkauft kein Gras mehr. Er hat damit Schluss gemacht.«
»Nein, hat er nicht.« Pias Stimme klang sanft. Sie sah mir fest in die Augen. »Während des Konzerts musste ich pinkeln. Weil
ich keine Lust hatte, ewig vor den Klos anzustehen, bin ich hinter der Bühne in die Büsche gegangen. Als ich zurückkam, hab
ich Markus gesehen. Er hat einem Typen ein Tütchen in die Hand gedrückt und dafür einen Schein kassiert. Es war eindeutig.
Als er mich gesehen hat, ist er schnell abgehauen.«
»Er hatte mir versprochen, damit aufzuhören«, murmelte ich. »Er hatte es versprochen!«
»Er hat sein Versprechen nicht gehalten«, stellte Pia fest. »So einfach ist das.«
»Warum hast du mir nicht schon eher davon erzählt?«, fuhr ich sie an. »Du hättest es mir sagen müssen!«
»Ich wollte nicht, dass es dir schlecht geht.« Pia schüttelte den Kopf, als könnte sie das selbst nicht mehr glauben. »Stell
dir das mal vor!«
»Und deshalb lügst du mich an?« Die Vorstellung,dass Pia die Wahrheit die ganze Zeit vor mir verheimlicht hatte, machte mich komplett fertig.
Pia zuckte mit den Schultern. »Jetzt weißt du es ja. Und sieh mich nicht so vorwurfsvoll an. Du bist schließlich auch kein
Unschuldslamm. Oder bist du etwa immer ehrlich zu mir gewesen?«
Ich schüttelte langsam den Kopf. »Hör mal, das mit Jakob tut mir leid. Das war so nicht geplant.«
»Manchmal laufen die Dinge eben nicht wie geplant.« Pia sah plötzlich traurig aus. »Ich schätze, jetzt sind wir quitt.« Sie
kramte ihren Fahrradschlüssel hervor, schloss ihr Rad auf und fuhr davon.
Ich blieb verwirrt neben den Fahrradständern stehen. Der Schulhof hatte sich inzwischen geleert. Ich verstand nicht so richtig,
was Pia mit ihrer letzten Bemerkung gemeint hatte. Aber ich wusste, dass es zwischen uns nie mehr so sein würde wie früher.
7
»Jenny! Was machst du denn hier?« Markus saß am Computer, als ich in sein Zimmer kam. Vor ihm auf der Fensterbank welkte eine
verstaubte Topfpflanze vor sich hin. Das Rollo war ein Stück heruntergezogen, sodass das Zimmer im Halbdunkeln lag. Es war
warm und stickig. Markus lächelte, doch das Lächelnerstarb, als er meinen versteinerten Gesichtsausdruck bemerkte.
»Ich muss mit dir reden.«
»Setz dich doch.« Markus deutete auf sein Bett, auf dem noch das zerwühlte Bettzeug lag, aber ich blieb mitten im Zimmer stehen.
Er runzelte die Stirn. »Was ist los?«
Ich war direkt von der Schule aus zu ihm gefahren. Ich hatte mir keine Strategie zurechtgelegt. Keinen Plan. Auf die Fassungslosigkeit
war die Wut gefolgt und hatte mein Gehirn mit rötlichem Nebel verschleiert. Ich konnte nicht klar denken, darum platzte ich
einfach mit der Frage heraus, die mir als Erstes in den Sinn kam.
»Stimmt es, dass du wieder Gras verkaufst?«
Markus zuckte unmerklich zusammen. Er versuchte, locker zu wirken, aber ich hatte es trotzdem gesehen. »Wer sagt das?«
»Das ist doch völlig egal!« Fast hätte ich mit dem
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