Nachtzug
Brunek Matuszek: Wer immer gegen die Deutschen kämpft, ist ein Verbündeter der Juden. Zumindest im Augenblick.«
Der Hauptmann lächelte erneut. »Wenn wir hier helfen können, dann werden wir es tun, und wir werden so lange bleiben, wie es möglich ist. Aber die Deutschen fahnden ständig nach uns, denn jeder Soldat, der in der polnischen Armee war, wird in die Wehrmacht eingezogen und muß gegen die Russen kämpfen.« Brunek drehte sich um und blickte zu der jungen Frau, die neben ihm saß. »Leokadjas Mann hatte nicht soviel Glück wie wir. Die Deutschen haben ihn geschnappt und ihm ihre Uniform übergezogen.« David konnte nicht den Blick von ihrer einnehmenden Schönheit lösen.
»Woher bekommt ihr eure Verpflegung?« wollte Brunek Matuszek von Moisze Bromberg wissen.
»Von den Leuten in Sofia, Sie wissen doch, Dolata. Er war früher Bürgermeister und kümmert sich mit ein paar anderen Dorfbewohnern um uns. Aber das ist sehr gefährlich, denn die Deutschen überwachen das ganze Gebiet sehr genau.«
»Seid ihr alle Juden?«
Moisze schüttelte den Kopf. »Nur acht von uns. Als die Deutschen vor achtzehn Monaten die Juden von Sofia abholten, gelang es einigen von uns, in diese Höhle zu flüchten. Die übrigen hier haben sich uns nach und nach angeschlossen; jeder von ihnen hat gute Gründe, sich vor den Deutschen zu verbergen.«
Brunek ließ seinen Blick langsam durch die Höhle schweifen. Die dreiundzwanzig Gesichter, die in dem flackernden Feuerschein bleich und verstört wirkten, gehörten jungen wie auch alten Menschen, Männern und Frauen. Einige von ihnen lächelten.
»Sie sehen, daß wir nicht gerade über große Kräfte verfügen«, erklärte Moisze. »Wir haben weder genug Leute noch Waffen, um die Deutschen wirkungsvoll zu bekämpfen. Wir tun, was wir können, etwas Sabotage hier und dort, um ihnen das Leben schwer zu machen, aber …« Er breitete seine Hände hilflos aus.
»Wir wollen kämpfen«, warf Abraham Vogel ein, der sich bis zu diesem Zeitpunkt nicht geäußert hatte. Das leidenschaftliche Wesen, das {61} sich hinter seinem schmalen, beinahe zarten Gesicht und seinen großen, sanften Augen verbarg, kam deutlicher zum Vorschein, wenn er in der ihm eigenen, entschlossenen Weise redete. »Aber es ist nur möglich, wenn wir eine Armee werden.«
»Eine Armee«, wehrte Moisze ab, »eine Armee ohne Waffen kann höchstens als Kanonenfutter dienen; je größer unsere Gruppe ist, desto mehr Kanonenfutter werden wir abgeben.«
Abraham öffnete den Mund, um etwas dagegenzuhalten, aber Brunek kam ihm zuvor. »Euer Anführer hat recht, ihr könnt so viele Mitglieder rekrutieren, wie ihr wollt, und werdet dennoch nur eine hilflose Masse sein. Was ihr braucht, sind Waffen. Kann Sofia uns helfen?«
Moisze schüttelte den Kopf. »Sofia ist in erster Linie eine Bauernstadt.«
»Und doch gibt es dort etwas sehr Interessantes für uns«, bemerkte David ernst.
Alle Gesichter wandten sich ihm zu.
»Das Munitionslager.«
Brunek musterte ihn verwundert. Dann schaute er Moisze an.
»Stimmt das?«
»Wir können uns nicht mal in die Nähe wagen«, beteuerte der Anführer. »Wir wären Narren, wenn wir …«
»Waffen!« rief David. »Ein Depot voll deutscher Artillerie!« Er überschlug sich fast beim Sprechen. »Dies ist ein Hauptdurchgangsgebiet für die Deutschen auf dem Weg nach Osten. Sie kommen hier vorbei und werden von dem Munitionslager am Rande von Sofia versorgt. Es ist eine riesige Anlage, Brunek, mit Benzintanks, Vorratslagern, Lastern und Panzern, einfach allem! Wenn wir dieses Lager in die Luft jagen würden, daran hätten die Deutschen eine Zeitlang zu knacken.«
»Nein, David«, widersprach ihm Moisze mit ruhiger Stimme. »Es ist zu gefährlich. Unser Ziel ist es, zu überleben, und nicht, Selbstmord zu begehen.«
Jetzt stand der junge Mann auf und blickte von oben auf die Gruppe herab. Seine Augen blitzten. »Meine Freunde«, begann er, »letztes Jahr haben wir nichts anderes getan, als immer nur unsere eigene Haut zu retten. Wir haben den Deutschen allenfalls ein paar Nadelstiche versetzt und gerade mal ein paar Posten niedergestreckt und ein {62} oder zwei Laster lahmgelegt. Hört mich wohl an, denn ich sage euch: Wenn die Deutschen diesen Krieg gewinnen, dann wird dies auf dem ganzen Kontinent kein einziger Jude überleben, und wenn wir nicht den Kampf aufnehmen, dann bedeutet das unseren sicheren Tod.
Vielleicht leben wir ein paar Wochen länger, wenn wir uns auf diese Weise
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