Nadel, Faden, Hackebeil
Showbizpromis auf Spontanbesuch in der Siederstadt ablichten musste.
Pfarrer Hölderlein lächelte gequält und meinte dann: »Frau Bertsch-Baierle hat mich eben angerufen. Ist es denn wirklich wahr?«
Irmgard glaubte, vom Schlag getroffen zu werden. Diese hinterhältige Schlange hatte Pfarrer Hölderlein von ihrem Chippendale-Stripperensemble-Bildschirmschoner erzählt? Irmgard wurde bleich und schnappte nach Luft.
»Sie wollen am Samstag
nicht
zur Blumenschmuckgruppe kommen?« Pfarrer Hölderlein sah Irmgard vorwurfsvoll an, als habe sie beschlossen, eigenhändig das Ozonloch noch weiter aufzureißen. Oder in Liechtenstein einzumarschieren.
»Was?«, hauchte Irmi, die gar nichts mehr verstand.
»Du wirst dich nicht unters Messer legen! Deine Brüste bleiben, wie sie sind! Klein und spitz und damit basta!«
Dieses Mal waren die Streithähne von oben ausgezeichnet zu verstehen. Gewissermaßen in Dolby-Surround-Sound-Qualität. Irmgard hätte nicht gedacht, dass der stille, stets beherrschte Fela derart laut werden konnte. Gegen Karina hatte er aber trotzdem keine Chance.
»Ich mache mit meinem Körper, was mir gefällt. Du hast mir gar nichts zu sagen! Meine Titten gehören mir!«, gellte sie in rekordverdächtiger Lautstärke. Zweifellos konnte man sie in diesem Moment bis nach Öhringen und Crailsheim hören.
Irmgard schüttelte ungläubig den Kopf. Sie hatte einmal gelesen, wie befreiend es angeblich sein sollte, wenn der Ruf erst einmal ruiniert war. Sie fand es aber ganz und gar nicht befreiend, nur entsetzlich peinlich. Der Ruf der Familie Seifferheld ging mit einem Affenzahn den Bach herunter.
»Hören Sie gar nicht hin«, bat sie Pfarrer Hölderlein.
In diesem Moment kam Karina die Treppe heruntergerannt, lief mit den Worten »Idiot!« an ihnen vorbei zu dem Schränkchen, auf dem der Fernseher stand, und riss die oberste Schublade auf. Wo sich bei anderen Leuten diverse Programmzeitschriften oder vielleicht die Fernbedienung befanden, lagerte bei Seifferhelds ein Massengrab für Trüffelpralinen. Karina nahm eine Handvoll heraus und stopfte sie sich in den Mund. Dann stürmte sie unter den Blicken der beiden fassungslosen Zuschauer erst in den Flur, dann aus der Haustür hinaus auf die Gasse.
Irmi seufzte.
Pfarrer Hölderlein sammelte sich. »Was ich Ihnen sagen wollte …« Er holte tief Luft.
Wie viel wusste er? Was genau hatte Frau Bertsch-Baierle ihm über die Bildschirmschonernackedeis erzählt? Nahm diese Peinlichkeit denn nie ein Ende?
»Ich weiß natürlich nicht, was Ihnen dazwischengekommen ist«, fuhr Pfarrer Hölderlein rasch fort, bevor ihn der Mut verließ. »Aber Ihr Stilgefühl und Ihre Führungsqualitäten werden der Gruppe fehlen.
Sie
werden uns fehlen.«
Irmi sagte nichts.
»Können Sie an Ihrem Termin denn gar nichts ändern?«
Jetzt nicht mehr, dachte Irmi, jetzt hatte sie dem Partnervorschlag F 23 D 09 der Online-Datingagentur schon gemailt, dass sie ihn am Samstag am Stuttgarter Hauptbahnhof auf einen Kaffee treffen wolle. Nun doch nicht der Flensburger, sondern der Amtskollege von Hölderlein, der ihr ein so nettes Foto seines Goldfisches gemailt hatte. Wer Tiere liebte, war ein guter Mensch.
Irmi schüttelte den Kopf. »Leider, mein Termin lässt sich nicht mehr ändern …« Außerdem wollte sie verdammt sein, wenn sie sich jemals wieder in der Blumenschmuckgruppe sehen ließ. Oder im Kirchenkaffeekomitee. Die sollten sich ruhig hinter ihrem Rücken das Maul über sie zerreißen. Sie war so gut wie verheiratet und würde aus Schwäbisch Hall wegziehen. Der Schande den Rücken kehren!
Sie stand auf.
Pfarrer Hölderlein erhob sich ebenfalls und folgte ihr in den Flur hinaus. Er sah nicht glücklich aus.
»Und wenn wir die Sitzung der Blumenschmuckgruppe verlegen? Auf Freitagnachmittag?«
Irmi sah ihn groß an. Pfarrer Hölderlein wurde rot.
Er nahm all seinen Mut zusammen. »Frau Seifferheld …«, fing er an, »Irmgard …«
Doch was immer jetzt auch über seine Lippen hätte kommen sollen, blieb ihm im Hals stecken, als man hörte, wie die Haustür aufgerissen wurde und gleich darauf Irmis Nichte Susanne mit wirren Haaren und irrem Blick über die Schwelle wankte.
»Mir ist nicht gut!«, rief sie und lief in Richtung Gästeklo. »Aus dem Weg, ich muss kotzen.«
Irmi und Pfarrer Hölderlein pressten sich mit dem Rücken an die Flurwand, aber es war zu spät.
Als sich Susanne direkt zwischen ihnen befand, bahnten sich ihr Frühstück und das leckere
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